Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
sicher sein: Es war nicht Gottes Absicht, dass sie leiden sollte. Wenn Sie an Gott glauben, dann glauben Sie daran, dass Ihre Tochter nicht gelitten hat.«
Und, Gott, vergib mir diese Lüge, aber wie könnte ich diesem verzweifelten Vater die Wahrheit erzählen? Da sitzt er, mit totem Geist und toter Seele, sechzehn Jahre voll Liebe, Pflege, Sorge, Freude und kleineren Traurigkeiten verpuffen wie der Rauch eines Verbrennungsofens. Warum sollte ich meine Meinung über Gott mit ihm teilen und seinen Verlust schlimmer machen? Er muss die Scherben aufsammeln und weitermachen; da sind fünf andere Kinder, die ihn brauchen, und eine Frau, deren Herz gebrochen ist.
»Danke«, sagte Mr Alvarez plötzlich.
»Ich danke Ihnen, dass Sie mich ertragen haben«, antwortete Carmine.
»Sie haben die Familie unermesslich getröstet«, sagte Vater Tesoriero auf dem Weg zur Tür. »Aber Mercedes hat gelitten, oder?«
»Meine Vermutung ist, ja. Es ist schwer, in meinem Beruf zu arbeiten und noch an Gott zu glauben, Vater.«
Zwei Journalisten waren auf der Straße erschienen, einer mit einem Mikrophon, der andere mit einem Notizblock. Als Carmine herauskam, stürzten sie auf ihn zu.
»Verpisst euch, ihr Geier!«, zischte er, stieg in seinen Ford und fuhr eilig davon.
Einige Blocks später, sicher, dass keine Reporter ihn verfolgten, hielt Carmine am Straßenrand und ließ sich von seinen Gefühlen überwältigen. Hatte sie gelitten? Ja, sie hatte gelitten! Sie litt abscheulich, und er hat sichergestellt, dass sie wach war und alles mitbekam. Das Letzte, was sie im Leben sah, muss ihr eigenes Blut gewesen sein, das in ein Ablaufloch floss, aberdas durfte ihre Familie niemals erfahren. Ich bin weit darüber hinaus, nicht an Gott zu glauben. Ich glaube, dass die Welt dem Teufel gehört. Ich glaube, dass der Teufel unendlich viel mächtiger ist als Gott. Und die Soldaten des Himmels, wenn nicht gar Gott selbst, verlieren den Krieg.
Kapitel vier
Montag, den 11. Oktober 1965
Da der Columbus Day kein allgemeiner Feiertag war, drohte nichts die Zusammenkunft des Direktoriums des Hughlings Jackson Center for Neurological Research um elf Uhr morgens im Konferenzraum des dritten Stocks zu gefährden. Sich bewusst, nicht eingeladen zu sein, hatte Carmine durchaus die Absicht, ihr beizuwohnen. Also traf er früher ein, nahm sich eine Tasse mit in den Flur zur Kaffeemaschine und zwei Donuts auf einem Porzellanteller und hatte die Frechheit, sich in den Sessel am Kopfende zu setzen, den er zum Fenster drehte.
»Unverschämtheit«, war zumindest das, wie Desdemona Dupre es nannte, als sie hereingeschritten kam und ihn fand, wie er genussvoll in die Süßigkeiten des Direktoriums biss.
»Sie können richtig froh sein«, war Carmines Antwort. »Wenn die Architekten des Holloman Hospital nicht entschieden hätten, den Parkplatz vor das Gebäude zu setzen, hätten Sie überhaupt keinen Ausblick. Aber so wie’s ist, können Sie bis runter nach Long Island sehen. Ist es nicht ein wunderschöner Tag? Jetzt ist der Herbst fast am schönsten, und während ich noch den Ulmen nachtrauere, ist der Ahorn nicht zu schlagen, was die Farbenpracht betrifft. Ihre Blätter haben praktisch neue Farbtöne am warmen Ende des Spektrums erfunden.«
»Mir war nicht klar, dass Sie über den Sprachschatz oder das Wissen verfügen, sich vernünftig ausdrücken zu können«, blaffte sie ihn mit eisigem Blick an. »Sie sitzen auf dem Stuhl des Vorsitzenden des Direktoriums und bedienen sich einfachan Erfrischungen, die Ihnen nicht zustehen! Seien Sie so freundlich, nehmen Sie Ihren Kram und gehen Sie!«
Genau in diesem Moment kam der Professor herein, stützte sich beim Anblick von Lieutenant Delmonico auf und stöhnte. »Ach, an Sie hatte ich gar nicht gedacht«, sagte er zu Carmine.
»Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, Professor, aber ich muss hier sein.«
Bevor der Professor antworten konnte, betrat President Mawson MacIntosh von der Chubb University den Raum, strahlte Carmine an und schüttelte ihm herzlich die Hand. »Carmine! Ich hätte mir schon denken können, dass Silvestri Sie auf das hier ansetzt«, sagte der Mann, den man überall nur M. M. nannte. »Ich bin hocherfreut. Hier, setzen Sie sich neben mich. Und verschwenden Sie Ihre Geschmacksknospen nicht an die Donuts«, flüsterte er ihm verschwörerisch zu. »Probieren Sie lieber die Apfelplunder.«
Miss Desdemona Dupre gab ein kleines Geräusch unterdrückter Wut von sich, marschierte aus dem
Weitere Kostenlose Bücher