Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
ihm in den Sinn gekommen, Desdemona zwei Etagen höher zu sich einzuladen, doch er entschied sich dagegen, da ihn der Gedanke beunruhigte, sie könnte seiner Gesellschaft überdrüssig sein. Wenn sie auswärts aß, war er derjenige, der sie begleitete und das Essen bezahlte – was, egal wie sehr sie darüber moserte, für ihn ein Gebot der Höflichkeit war. Die Folge war, dass er weit vor Mitternacht zu Bett ging, phantastisch schlief und ausgeruht war, als das Telefon klingelte.
»Delmonico«, sagte er.
»Ich bin’s, Danny«, hörte er Marcianos Stimme. »Carmine, du musst sofort nach New London kommen. Es gab wieder eine Entführung. Dublin Road, auf der Groton-Seite des Flusses. Abe und Corey sind unterwegs, Patrick ebenfalls. Die Cops aus New London werden dich erwarten.«
Er war sofort auf den Beinen und registrierte einen Schweißfilm, der sicher nicht von der zehn Grad kühlen Heizung kommenkonnte. »Aber das kann nicht sein«, sagte er fröstelnd. »Es sind gerade mal dreißig Tage seit Francine. Der Kerl sollte doch erst Ende des Monats wieder zuschlagen.«
»Wir sind nicht sicher, ob es der gleiche Kerl ist – zunächst mal fand die Entführung im Verlauf der Nacht statt, für die Cops in New London was völlig Neues. Fahr hin und erzähl denen, womit sie es zu tun haben.«
Mit Abe am Steuer rasten sie die vierzig Meilen bis New London. Paul und Patrick folgten in ihrem Transporter.
»Dreißig Tage, es sind nur dreißig Tage gewesen!«, sagte Abe, als die I-95 New London erreichte; bis dahin hatte er nicht eine Silbe gesagt.
»Nimm direkt hinter der Brücke die Abzweigung Groton«, sagte Corey, der eine Landkarte auf seinen Knien ausgebreitet hatte. »Es kann nicht derselbe Kerl sein, Carmine.«
»Das werden wir in ein paar Minuten wissen.«
Die Stelle war nicht schwer zu finden; jeder einzelne Streifenwagen des New London County schien an den Rändern einer Straße zu parken, an der bescheidene Häuser in Blocks von rund achthundert Quadratmetern standen. Die Dublin Road, Groton.
Das Haus, auf das ein Streifenpolizist zeigte, war grau gestrichen, ein einstöckiges Gebäude. Das Haus eines Arbeiters, der stolz auf sich und sein Eigentum war. Ein kurzer Blick darauf genügte, und Carmine wusste, dass die darin lebenden Menschen geachtet und ehrenwert waren. Eine perfekte Familie für die Zwecke des Mörders.
»Tony Dimaggio«, sagte ein Mann in der Uniform eines Captains. Er bot Carmine eine Hand zum Gruß. »Ein sechzehnjähriges schwarzes Mädchen namens Margaretta Bewlee wurde während der Nacht entführt. Mr Bewlee scheint zu denken, durch das Schlafzimmerfenster, aber ich habe bislang keinenmeiner Jungs in die Nähe gelassen, damit sie keine möglichen Spuren zerstören – das hier ist ganz klar eine Nummer zu groß für uns. Kommen Sie rein«, sagte er und ging vor Carmine her. »Die Mutter ist das reinste Nervenbündel, aber Mr Bewlee hält noch durch.«
»Ich komme sofort nach, sobald ich Dr. O’Donnell draußen vors Fenster gebracht habe. Danke für Ihre Geduld, Tony.«
Die ganze Familie hatte tiefschwarze Haut: Vater, Mutter, ein junges Mädchen im Teenageralter und zwei Jungs von zwölf, dreizehn Jahren.
»Mr Bewlee? Lieutenant Delmonico. Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Seine Haut hatte diesen besonderen Grauton, der bei dunkelhäutigen Menschen von extremer Mühsal zeugte, doch es gelang ihm, seine Gefühle unter Kontrolle zu behalten. Wenn er jetzt die Nerven verlor, könnte das den entscheidenden Unterschied für Margaretta bedeuten. Seine Frau, noch in Morgenmantel und Hausschuhen, saß mit glasigen Augen wie versteinert da.
Mr Bewlee holte tief Luft. »Wir haben aufs neue Jahr angestoßen, dann sind wir ins Bett gegangen, Lieutenant. Wir alle – hier gibt’s keine Nachteulen, also haben wir kaum die Augen aufhalten können.«
»Haben Sie Alkohol getrunken? Sekt zum Beispiel?«
»Nein, nur eine Fruchtbowle. Bei uns wird kein Alkohol getrunken.« Seine Miene verfinsterte sich.
»Wo arbeiten Sie, Mr Bewlee?«
»Ich bin Präzisionsschweißer bei Electric Boat, und in ein paar Wochen steht ’ne Gehaltserhöhung an. Wir haben nur darauf gewartet, um endlich umziehen, was Größeres kaufen zu können.« Die Tränen flossen, er hielt inne.
»Stellen Sie mir doch bitte Ihre Kinder vor, Mr Bewlee.«
Ihr Vater nahm sich zusammen, das schaffte er bestimmt. »Das hier ist Linda, sie ist vierzehn. Hank ist elf, Ray zehn. Wir haben auch noch einen Knirps, Terence. Er ist
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