Ein Kampf um Rom
warum hast du mir das verschwiegen, neun Jahre lang?«
»Weil«, sagte er, ihr herzlich in die Augen blickend, »weil ich meine Rauthgundis kenne. Du hättest immer geglaubt, wunder
was ich an jener Krone verloren. Jetzt aber ist der König tot, und ich bin dauernd an den Hof gebunden. Wer weiß, wann ich
wieder ruhen werde im Schatten dieser Säulen, im Frieden dieses Daches.«
Und in kurzen Worten erzählte er ihr den Sturz des Präfecten, und welche Stellung er nunmehr einnahm bei Amalaswinthen. Aufmerksam
hörte ihn Rauthgundis an; dann drückte sie ihm die Hand:
»Das ist wacker, Witichis, daß die Goten allmählich merken, was sie an dir haben. Und du bist heiterer, denk’ ich, als sonst.«
»Ja, mir ist wohler, seit ich mittragen darf an der Last der Zeit. Dabeistehen und sie wuchtig drücken sehen auf mein Volk,
war viel schwerer. Mich dauert dabei nur die Regentin; sie ist wie eine Gefangne.«
»Bah, warum hat das Weib gegriffen in das Amt der Männer. Mir fiele das nie ein.«
»Du bist keine Königin, Rauthgundis, und Amalaswintha ist stolz.«
»Ich bin zehnmal so stolz wie sie. Aber so eitel bin ich nicht. Sie muß nie einen Mann geliebt haben und seinen Wert und seine
Art begriffen. Sie könnte sonst nicht die Männer ersetzen wollen.«
»Am Hof sieht man das anders an. Komm nur mit an den Hof.«
»Nein, Witichis«, sagte sie ruhig, aufstehend, »der Hof paßt nicht für mich und ich nicht für den Hof. Ich bin des Ödbauern
Kind und gar unhöfisch geartet. Sieh diesen braunen Nacken«,lachte sie, »und diese rauhen Hände. Ich kann nicht die Lyra zupfen und Verslein lesen: schlecht taugt’ ich zu den feinen
Römerinnen, und wenig Ehre würdest du haben von mir.«
»Du wirst dich doch nicht zu schlecht erachten für den Hof?«
»Nein, Witichis, zu gut.«
»Nun, man müßte sich gegenseitig ertragen, würdigen lernen.«
»Das würd’ ich nie. Sie vielleicht mich, aus Furcht vor dir, ich niemals sie. Ich würd’ ihnen täglich ins Gesicht sagen, daß
sie hohl, falsch und schlecht sind.«
»So willst du lieber deinen Mann entbehren, mondenlang?«
»Ja, lieber ihn entbehren, als in schiefer, schlimmer Stellung um ihn sein. O mein Witichis«, sagte sie, innig den Arm um
seinen Nacken legend, »denk nur, wer ich bin, und wie du mich gefunden. Wo die letzten Siedelungen unseres Gotenvolks den
Saum der Alpen umgürten, hoch auf den Felsschroffen der Scaranzia, wo die junge Isara schäumend aus den Steinklüften ins offne
Land der Bajuvaren bricht, da steht meines Vaters stiller Ödhof. Nichts kannt’ ich da als die strenge Arbeit des Sommers auf
den einsamen Almen, des Winters in der rauchgeschwärzten Halle am Rocken mit den Mägden. Früh starb die Mutter, und den Bruder
haben die Welschen erstochen. So wuchs ich einsam auf, allein mit dem alten Vater, der so treu, aber auch so hart und verschlossen
wie seine Felsen. Da sah ich nichts von der Welt, die rechts und links von unsern Bergen lag. Nur hoch von oben sah ich manchmal
neugierig, wie ein Saumroß mit Salz oder Wein unten in der Talschlucht des Weges zog. Da saß ich wohl manchen schimmervollen
Sommerabend auf der zackigen Kulm des hohen Arn. Und sah der Sonne nach, wie sie so herrlich niedersank weit drüben überm
Licus: und ich dachte, was sie wohl alles gesehen den langen Sommertag, seit sie aufstieg drüben überm breiten Oenus. Und
daß ich wohl auch wissen möchte, wie’s aussieht über dem Karwendel. Oder gar drüben, hinter dem Brennus-Berg, wo der Bruder
hinüberzog und nie mehr wiederkam. Und doch fühlte ich, wie schönes sei droben in meiner grünen Einsamkeit, wo ich den Steinadler pfeifen hörte aus dem nahen Horst, und wo ich prächtige Blumen
brach, wie sie nicht wuchsen unten in der Ebne und auch wohl einmal des Nachts den Bergwolf vor meiner Stalltür heulen hörte
und mit dem Kienbrand scheuchte. Und auch in dem frühen Herbst, in den langen Wintern hatte ich Muße, still in mich hineinzusinnen:
wenn um die hohen Tannen die weißen Nebelschleier spannen, wenn der Bergwind die Felsblöcke von unserem Strohdach riß und
die Schneestürze von den Schroffen donnernd niedergingen. So wuchs ich auf, fremd in der Welt jenseits der nächsten Wälder,
nur zu Hause in der stillen Welt meiner Gedanken, und in dem engen Bauernleben. Da kamest du – ich weiß es noch wie heute« –, und sie hielt an, in Erinnerung verloren.
»Ich weiß es auch noch genau«, sagte Witichis.
Weitere Kostenlose Bücher