Ein Kelch voll Wind
begleiten.«
Wieder schüttelte ich den Kopf, stand auf und strich die Blätter von meinem Rock. »I ch komme um drei aus der Schule«, sagte ich. »K ann ich dich morgen sehen?«
Er lachte und zog mich an sich. »D u kannst mich sehen, wann immer du willst.«
Kapitel 13
Thais
Ich lag im Bett und fragte mich, was ich zuerst tun sollte: weinen oder mich übergeben. »A ufwachen« schien völlig witzlos, da ich praktisch die ganze Nacht über schlaflos an die Decke gestarrt hatte. Heute war mein erster Tag in der neuen Schule. Der erste Schultag meines ganzen Lebens, an dem mein Dad mich nicht begleiten würde. Als ich jünger war, hatte er meine Hand gehalten, und als ich älter war, hatte er mir zum Abschied zugewinkt. Wenn ich morgens aufwachte, kam ich mir in diesem seltsamen Apartment schrecklich allein vor. Alles um mich herum war so fremd.
Meine Augenlider fühlten sich an wie Schleifpapier. Ich drehte mich auf die andere Seite und umarmte mein Kopfkissen. Seit meinem Albtraum hasste ich es, einzuschlafen. Axelle bestand darauf, dass ich die Tür zu meinem Zimmer offen ließ. Auf der einen Seite war mir wohler bei dem Gedanken, dass sie mich hören würde, wenn ich schrie. Andererseits vermisste ich das Gefühl von Privatsphäre und einer abgeschlossenen Tür schmerzlich. Ganz besonders, wenn Daedalus und Jules hier übernachteten, was sie hin und wieder taten.
Ich schlafwandelte ins Badezimmer und stellte mich unter die Dusche. In New Orleans war kaltes Wasser nie wirklich kalt wie in Connecticut. Zu Hause war der blaue Punkt auf dem Wasserhahn ernst gemeint. Hier hingegen stand er eher für »l auwarm«. Nach heißem Wasser fragte ich schon gar nicht mehr.
Und noch etwas: Zu Hause hatte ich am ersten Schultag immer neue Kleider getragen. Herbstkleider. Die Schule begann, also war der Herbst auf dem Weg. Der Wetterbericht hatte für heute achtundneunzig bis einhundert Prozent Luftfeuchtigkeit vorausgesagt. Ich trug einen kurzen Rock und ein ärmelloses Oberteil mit sportlichen, grauen und pinken Streifen. Bestimmt würde ich bald herausfinden, was hier klamottentechnisch so angesagt war.
Ich besprühte mein Haar und raffte es so zusammen, dass die gestuften Strähnen herausfielen. Ich begann zu weinen. Ich träufelte mir Tropfen in die Augen und versuchte, ein bisschen Mascara aufzutragen. Wieder begann ich zu weinen. Also gab ich es auf, mich zu schminken, und ging in die Küche. Jetzt musste ich mich nur noch übergeben.
Im Wohnzimmer traf ich auf Axelle, Jules und Daedalus, die um einen Tisch herumsaßen und immer noch dieselben Kleider wie letzte Nacht trugen. Der Aschenbecher war voller Zigaretten. Leere Sodadosen und Wasserflaschen standen im Kreis um den Tisch. Offensichtlich waren sie die ganze Nacht auf gewesen. Unglaublich, dass sie nicht mehr Lärm gemacht hatten.
»H ey«, sagte ich nicht besonders begeistert, und sie blickten auf.
»D u bist früh auf«, sagte Axelle und warf einen Blick auf die antike Uhr auf dem Kaminsims.
»S chule«, erwiderte ich und versuchte, ein trockenes Stück Brot runterzuwürgen.
Axelle atmete aus und warf Jules und Daedalus einen bedeutungsvollen Blick zu. Ich war aber auch wirklich ein ulkiges, unberechenbares Ding, dass ich einfach so in die Schule gehen wollte.
»D ann hast du das also ernst gemeint«, murmelte sie. Und dann: »U m wie viel Uhr kommst du nach Hause?«
»D ie Schule ist um drei aus«, sagte ich kauend und versuchte angestrengt zu schlucken. »D ann also wahrscheinlich so gegen halb vier? Ich weiß nicht, wie lange die Straßenbahn braucht.«
»G ib ihr ein Handy«, sagte Daedalus, und ich hörte vor Überraschung auf zu kauen.
Sie blickte ihn aus ihren dunklen Augen nachdenklich an. Dann erhob sie sich, kramte in ihrer großen, schwarzen Ledertasche und zog ein Handy daraus hervor. Sie betrachtete es und fuhr mit den Fingern darüber, als wolle sie sich einprägen, wie es aussah, sich von ihm verabschieden. Von einem Handy. Meine Güte.
Schließlich brachte sie es mir. Ich konnte es nicht glauben.
»S ag Bescheid, wenn du später kommst«, sagte sie.
O-kaaay. Und du wartest dann mit warmen Keksen, frisch aus dem Ofen, auf mich oder wie?
Ich hatte mir einen Rucksack gekauft und füllte ihn mit ein paar Utensilien, die ich an diesem ersten Tag brauchen würde. Das Handy verstaute ich in einer kleinen Innentasche und zog den Reißverschluss zu.
»T hais, komm her«, sagte Jules und ich ging zu ihm. Was jetzt?
Die drei saßen
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