Ein Kerl macht noch keinen Sommer
jetzt eine massive Kettenreaktion in ihrem Gehirn in Gang.
Sie sah Gordon an, der seltsam gebannt von den Nachrichten war, und auf einmal wusste sie, dass sie ihn dieses Wochenende verlassen würde. Komisch, sie hatte immer darauf gewartet, dass irgendein einschneidendes Ereignis ihr die Kraft verleihen würde, einfach zu gehen, und jetzt war es lediglich das Drücken einer Taste auf der Fernbedienung gewesen. Es spielte keine Rolle, dass sie nicht wusste, wohin sie gehen sollte, und kaum Zeit hatte, einen Plan zu entwickeln – sie ertrug seine Gegenwart einfach nicht mehr, die allen Sauerstoff aus ihrem Leben sog und sie irgendwohin schubste, wo sie gar nicht sein wollte, und dass er Entscheidungen für sie traf und ihre Familie mit seinen Vorurteilen und seiner Wut zerrüttete. Sie war schon einmal an diesem Punkt angelangt gewesen und hatte um die Kraft gebetet, ihn zu verlassen, aber irgendwie war es diesmal anders. Sie wusste, dass sie ihre Meinung diesmal nicht mehr ändern würde; diesmal war eine Grenze überschritten worden – es war vorbei. Der plötzliche Gedanke an ihre künftige Freiheit versetzte sie in Euphorie. Wie sollte sie es ihm sagen? Es war nicht ihre Art, sich einfach davonzustehlen, so wie Annas Tony, und nur eine Nachricht auf dem Tisch zu hinterlassen. Sie würde es ihm ins Gesicht sagen müssen. Eine Aussicht, auf die sie sich überhaupt nicht freute.
Am Dienstag, entschied sie. Am Dienstag würde sie ihn verlassen, so anständig und aufrichtig wie möglich. Am Wochenende würde sie das Haus putzen und die Essensvorräte für ihn auffüllen. Sie würde einen Koffer packen und ihm gleich am Dienstagmorgen sagen, dass ihre Ehe zu Ende war. Dann würde sie das Haus verlassen und zur Arbeit fahren und sich danach den nächsten Schritt zurechtlegen; weiter als bis dahin konnte sie nicht vorausdenken, ohne in Panik auszubrechen. Sie sah sich die Sky News an, aber in Gedanken war sie auf einem völlig anderen Stern und erstellte eine Liste mit Erledigungen.
Als Anna nachhause kam, lehnte ein rechteckiges Paket aus braunem Papier an ihrer Tür. Es war offensichtlich persönlich zugestellt worden, denn es war nicht frankiert. Sie öffnete die Tür und holte die Schere aus der Schublade, noch bevor sie ihre Jacke auszog. Es war mit so viel braunem Klebeband umwickelt, dass es vermutlich einen Atomangriff überstanden hätte. Selbst das Stanley-Messer, das sie schließlich zu Hilfe nahm, kam nur schwer durch die Verpackung. Dann hatte sie noch mit ungefähr zwölf Schichten Noppenfolie zu kämpfen, bis schließlich ein quadratisches Styroporkästchen zum Vorschein kam. Verwirrt stemmte Anna den Deckel auf. Dann sah sie die weiße Rückseite eines Tellers, an dem ein Aufhänger befestigt war. Als sie den Teller umdrehte, sah sie auf der Vorderseite ein Foto von ihr und Tony, Arm in Arm, er mit diesem großspurigen, überheblichen Grinsen. Es war das Foto, das er als Hintergrundbild auf seinem Handy gehabt hatte. Unter dem Foto auf dem Teller stand ein einziges Wort: Zusammen . Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? War das ein Jahrestagsgeschenk? Sie verspürte einen Schwall von Aufregung bei dem Gedanken, dass er vielleicht tatsächlich an den Tag gedacht hatte. Aber wenn nicht, warum schickte Tony ihr dann einen Teller mit einem Foto, wenn sie gar nicht mehr zusammen waren? Sie waren ungefähr so weit auseinander wie Lynette Bottoms Beine. Oder würde er doch nachhause kommen? Lieber Gott – war das vielleicht seine Art, ihr zu sagen, dass er auf dem Weg zurück zu ihr war?
Gordon ging am Samstag nicht in seinen Schrebergarten. Er fuhr Grace an, als sie ihn fragte, warum nicht.
»Man könnte glauben, du versuchst, mich loszuwerden!« Daher schürte sie seinen Verdacht nicht weiter, indem sie noch einmal nachfragte. Sie wechselte die Bettwäsche und gab sich den Anschein einer Frau, die an ihrem Haus interessiert ist, nicht im Begriff, es zu verlassen.
Sie holte leise ihren kleinen Koffer vom Kleiderschrank, packte etwas Unterwäsche, ein paar Blusen, Röcke und Schuhe ein und schob ihn rasch unter das Bett. Dann begann sie, eine Weile auf dem Treppenabsatz Staub zu saugen, bevor sie entschied, dass sie etwas frische Luft brauchte.
»Ich gehe rasch ein paar Sachen einkaufen«, sagte Grace und steckte den Kopf durch die Wohnzimmertür. »Bin gleich wieder da.«
»Ich komme mit«, sagte Gordon.
Einundfünfzigstes Kapitel
A nna tanzte jetzt schon seit vierundzwanzig Stunden durchs Haus. Sie
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