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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Mrs. Harris?»
    «Nein, heute nicht, bis auf weiteres nicht», erwiderte John Bayswater für sie und sagte dann: «Aber jetzt beeilen Sie sich. Sie werden sich hier draußen noch erkälten...»
    Mrs. Harris zog ihren Morgenrock fester um sich. «Ich weiß nicht, was ich tun soll...»
    «Tun Sie bitte, was ich Ihnen sage», sagte Mr. Bayswater.
    «Ziehen Sie sich schnell an und packen Sie einen Koffer. So viel, daß es für etwa einen Monat reicht. Ich warte hier im Wagen.»
    «Ich habe nur wenig Bargeld im Haus.»
    «Ich habe genug für uns beide. Machen Sie schnell!»
    Mrs. Harris kannte Bayswater als einen starken und zielbewußten Mann, zu dem sie immer aufgeblickt hatte, aber noch nie hatte sie ihn so bestimmt gesehen, und einen Augenblick lang bekümmerte sie das, denn sie war ein unabhängiger Mensch und nicht daran gewöhnt, daß man ihr befahl.
    «Bitte, Ada», fügte Mr. Bayswater sanft hinzu. «Sie werden es nie bereuen.»
    «Ach Gott, ach Gott», sagte Mrs. Harris. «Nun, denn also.» Und sie schloß die Tür.
    Es war das «Bitte», das das bewirkt zu haben schien, gepaart mit der Einsicht, wie viel John Bayswater nicht nur getan hatte, sondern tun würde. Es war ihm, dem eingefleischten Junggesellen, bestimmt schwergefallen, so selbstlos zu sein, und es wäre darum roh, ihm einen Korb zu geben.
    Und außerdem entdeckte sie plötzlich, daß sie das gar nicht wollte. Sie war zusammengeschlagen worden, hatte viele blaue Flecke davongetragen und war ernsthaft verletzt, und da war ein wirklicher Freund, der ihr Trost bot und vor allem Fürsorge und die Möglichkeit einer zeitweiligen Flucht. Als sie eine halbe Stunde später in der Tür erschien, hatte sie zwei Koffer und eine große Handtasche in den Händen und trug ihre besten Kleidungsstücke, ein Reisekostüm von Lady Dent, Schuhe von der Gräfin Wyszcinska und einen Hut von Mrs. Joel Schreiber.
    «Was mache ich nur mit Mrs. Butterfield?» sagte sie. «Was wird sie sagen oder denken?»
    Mr. Bayswater zog einen Brief aus seiner Brusttasche. «Ich habe ihr bereits geschrieben. Ich werde den Brief unter ihre Tür schieben.»
    Und dann saß sie neben ihm auf dem glänzenden, gut gefederten, bequemen Ledersitz des großen Rolls-Royce, und einen Augenblick lang musterten sie einander nur stumm, als ob sie sich sicher sein wollten, daß sie das Richtige taten.
    «John», rief Mrs. Harris schließlich, «ach, Sie schrecklicher Mann! Wohin fahren wir?»
    Der Chauffeur griff in die Seitentasche des Wagens und machte einen Fächer aus den Autokarten von Norwegen, Schweden, Griechenland, Spanien, Holland, Portugal, Frankreich, Italien und Jugoslawien. «Irgendwohin», antwortet er. «Was spielt das schon für eine Rolle!«
    Dann ließ er den Wagen an, und der Motor begann leise zu summen.
    Sie fuhren gerade die Straße hinunter in Richtung der Kanalhäfen, als das erste Presseauto laut hupend um die Ecke kam und vor dem Hause Willis Gardens Nr. 5 hielt.

Mrs. Harris fliegt nach Moskau
    Aus dem Englischen von Kai Molvig

Für meinen langjährigen
    Freund und Lektor Roland Gant

1

    Diese Fotografie hatte bisher nicht dagestanden. Mrs. Harris, deren Scharfblick nichts entging, war ihrer Sache ganz sicher. Sie nahm es sehr genau mit den kleinen Dingen, Bildern und sonstigen Erinnerungsgegenständen, von denen die Wohnungen ihrer Arbeitgeber, bei denen sie täglich saubermachte, überquollen. Die Besitzer waren, was die Anordnung der Sachen anging, zumeist recht eigen und ärgerten sich leicht, wenn irgend etwas sich nicht am gewohnten Platz befand.
    Das etwa 20 x 25 cm große gerahmte Foto, das da auf Mr. Lockwoods Schreibtisch stand, zeigte das Brustbild eines in Pelz gehüllten schönen jungen Mädchens vor einem höchst merkwürdigen winterlichen Hintergrund: einer hohen Mauer, überragt von einem seltsamen Turm.
    Mrs. Harris, die Mr. Lockwoods Schreibtisch, seine Schreibmaschine sowie die Nachschlagewerke und die zahllosen Kinkerlitzchen hatte abstauben wollen, die offenbar jeder Schriftsteller bei der Arbeit in Reichweite haben mußte, nahm das geheimnisvolle Bild in die Hand, um es genauer zu betrachten. Ganz offensichtlich handelte es sich um die Vergrößerung eines Schnappschusses, doch auch der gröbere Raster vermochte die auffallende Schwermut der Augen nicht zu verbergen. Das Mädchen trug eine Pelzkappe, unter der dunkles Haar hervorquoll. Die genau in die Kameralinse oder auf den Menschen hinter der Kamera blickenden Augen versuchten eine Botschaft zu

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