Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Rechenschaft abzulegen, was sie tat, hatte sie dem Prinzgemahl ihr Herz ausgeschüttet. Die Worte waren ihr einfach so herausgerutscht, und sie hatte bei dieser Gelegenheit, da Liz in Hörweite war, gleich die Sache mit ihrem Titel klargestellt. Aber es war etwas anderes, daß sie nun diesem höchst würdevollen, imposanten Mann von all den Dingen berichten sollte, die ihr und Violet in Moskau widerfahren waren.
Doch nun hielt sie einen Einblick in britische diplomatische Gepflogenheiten, denn als sie vor ihm stand, wich sein finsterer Gesichtsausdruck einem erfreuten Lächeln, und er sagte: «Guten Abend. Mein Name ist Harold Barry. Seine Königliche Hoheit hat Ihnen offenbar geraten, etwas Bestimmtes mit mir zu besprechen. Und worum handelt es sich? Hat jemand versucht, Ihnen Ihren Paß abzunehmen, oder wollte man Schrotkugeln in Ihren Kaviar praktizieren? Kommen Sie, wir setzen uns am besten da drüben in die Ecke und halten einen kleinen Plausch.»
Wie sich herausstellte wurde aus dem kleinen Plausch — nun, nachdem Adas Ängste sich als unbegründet erwiesen hatten und sie sich mit ein paar Gläschen Wodka (der für sie genug Ähnlichkeit mit Gin hatte, um trinkbar zu sein) und einer Kleinigkeit vom kalten Büfett gestärkt hatte — eine recht ausgedehnte Unterhaltung. Nachdem Sir Harold Barry wußte, wer sie in Wirklichkeit war und das Durcheinander mit den Papieren begriffen hatte, stellte er ihr eine Reihe sehr vernünftiger Fragen, und Ada merkte, daß sie keinem Dummkopf gegenübersaß. Als er über alles informiert war, schwieg er ein Weilchen und sagte dann, mit einem Finger seinen Schnurrbart glättend: «Manche von denen sind ausgesprochen komische Käuze. Die haben noch mehr Angst vor Spionen als wir. Also... ich werde über das, was Sie mir da erzählt haben, ein bißchen nachdenken und anschließend vielleicht ein kleines Gespräch mit dem einen oder anderen von denen führen. Inzwischen halte ich es für das Beste, wenn Sie in Ihr Hotel zurückgehen. Wie ist Ihre Zimmernummer? Wo hat man Sie untergebracht? Im , in diesem Riesenkasten? Bleiben Sie dort, bis Sie von mir hören. Die Kameraden werden nicht gerade erfreut sein, wenn sie merken, daß sie sich selbst zum Narren gemacht haben. Sie machen sich bitte keine Sorgen.» Er hob sein Glas. «Auf Ihr Wohl!» Es war Zutrunk und Verabschiedung in einem.
Kaum waren sie wieder im Hotel angelangt, setzten sich Liz, Mrs. Butterfield und Mrs. Harris im Salon ihrer Luxus-Suite ans offene Fenster und hielten bei lautstarker Radiomusik im Flüsterton Kriegsrat oder, besser gesagt, Liebesrat. Es ging dabei vornehmlich um das schier unlösbare Problem, wie man Lisaweta Nadjeschda Borowaskaja und Geoffrey Lockwood wieder vereinen könnte.
Nach allem, was geschehen war, war an einen Brief natürlich nicht zu denken. Mrs. Harris konnte mündliche Botschaften von Sehnsucht und ewiger Liebe übermitteln, doch jeder weitere Schritt, um die beiden wieder zusammenzubringen, war im Grunde zum Scheitern verurteilt.
Zunächst einmal war Mrs. Lockwood in der Sowjetunion persona non grata, und obwohl Liz bei Intourist als Fremdenführerin tätig war und in dieser Eigenschaft vor allem V.I.P.s betreute, genoß sie doch nicht so viel Vertrauen, daß man ihr, wie viele ihrer Kolleginnen, gestattet hätte, Spritztouren in den Westen zu machen. Irgendwann hatte Liz jemand verdächtigt, einem westlichen Auslandskorrespondenten mehr als nur Reiseführerin gewesen zu sein. Und wenn sich auch niemand in ihr Privatleben oder ihre Arbeit einmischte, so wußte sie doch, daß sie unter Aufsicht stand.
Eine Flucht über die Grenze war unmöglich. Um das Land mit einem der üblichen Verkehrsmittel zu verlassen, bedurfte es so vieler Dokumente, daß man ein ganzes Zimmer damit hätte tapezieren können. Je mehr Fragen Mrs. Harris stellte, je ideenreicher oder auch einfacher die Pläne waren, die sie entwickelte, um so glaubhafter konnte Liz ihr nachweisen, daß sie niemals in der Lage wäre, das Land zu verlassen, geschweige denn nach England zu gelangen.
Doch Mrs. Harris ließ sich nicht entmutigen. Sie sagte: «Nun verzweifeln Sie mal nicht, mein Kind. Aus Erfahrung weiß ich, daß man das, was man ernsthaft will, auch erreicht. Warten Sie nur, mir wird schon etwas einfallen.»
Normalerweise hätte ein so verbohrter Optimismus, der keines der von ihr aufgezählten Hindernisse gelten lassen wollte, Liz nervös gemacht, oder sie sich auch noch so elend und
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