Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Fluggesellschaft gebeten hätte, sie zu begleiten, oder daß doch der Taxenchauffeur nicht weggefahren wäre und sie hier stehengelassen hätte.
Und dann fuhr, wie das Schicksal es wollte, ein Wagen der britischen Botschaft vorüber, und der Anblick des winzigen, am Kotflügel flatternden Union-Jack gab ihr wieder Rückgrat und brachte die Entschlossenheit in ihren Mund und ihre Augen zurück. Sie erinnerte sich daran, wer und was sie war, nahm einen tiefen Atemzug der balsamischen, mit Benzindünsten vermischten Pariser Luft, schob resolut die Tür auf und trat ein.
Fast hätte der überwältigende Duft von Eleganz, der sie überfiel, kaum daß sie drinnen war, sie wieder zurückgetrieben. Es war der gleiche Duft, den sie gerochen hatte, als Lady Dent die Türen ihres Kleiderschranks öffnete, und der in dem Pelzmantel und den Toiletten der Gräfin Wyszcinska hing, bei der sie nachmittags von vier bis sechs aufräumte, der gleiche Duft, den sie bisweilen auf der Straße erhaschte, wenn sich der Schlag eines Luxusautos öffnete, während sie vorüberging. Es war eine Zusammensetzung von Parfüm, Pelz und Satin, von Seide und Leder, Juwelenschmuck und Gesichtspuder. Es schien aus den dicken grauen Teppichen und Vorhängen aufzusteigen und die Luft des großen Treppenhauses vor ihr zu erfüllen.
Es war der Geruch der Reichen, und er ließ sie abermals erzittern und sich die Frage vorlegen, was sie, Ada Harris, hier tue, statt zu Hause das Geschirr von Mrs. Fford Foulks abzuwaschen oder die Karriere eines wirklichen Bühnenstars wie Pamela Penrose zu fördern, indem sie dafür sorgte, daß ihre Wohnung sauber und ordentlich war, wenn ihre Regisseur-Freunde zu Besuch kamen.
Sie zögerte, und ihre Füße schienen bis zu den Knöcheln in den Flor des Teppichs einzusinken. Dann glitten ihre Finger in die Handtasche und prüften die Glätte des Bündels amerikanischer Geldscheine. «Deshalb bist du hier, Ada ‘arris. Das bedeutet, daß du verdammt ebenso reich bist wie sonst eine von den Kundinnen hier. Also vorwärts, Mädel!»
Sie stieg die eindrucksvolle und leere Treppe hinauf; es war halb zwölf vormittags. Auf dem ersten Treppenabsatz war nichts als ein einzelner Silberschuh in einem in die Wand eingelassenen gläsernen Schaukasten; an der zweiten Biegung fand sich ein ähnlicher Kasten, der eine übergroße Flasche Dior-Parfum enthielt. Doch sonst waren keinerlei Waren ausgestellt, noch drängten sich die Leute treppauf, treppab wie bei Marks & Spencer oder bei Selfridge. Nirgends gab es das mindeste Zeichen oder sonst irgend etwas, was sie an die gewohnten Läden hätte erinnern können.
Im Gegenteil, die Eleganz und Atmosphäre der verlassenen Treppe gaben ihr das Gefühl, in einem Privathaus zu sein, noch dazu in einem, das in ganz großem Stil geführt wurde. War sie wirklich am richtigen Ort? Der Mut drohte sie wieder zu verlassen, doch sie sagte sich, daß sie früher oder später auf irgendein menschliches Wesen stoßen müsse, das in der Lage wäre, sie zu den Kleidern zu führen oder sie wenigstens zu unterrichten, falls sie im falschen Gebäude sein sollte. Sie stieg weiter, und tatsächlich traf sie im ersten Stock auf eine hübsche, dunkelhaarige Frau Anfang Vierzig, die schreibend an einem Tisch saß. Sie hatte ein einfaches schwarzes Kleid an, von dem sich eine dreifache Perlenhalskette abhob; ihr Haar schimmerte und war ordentlich frisiert; das Gesicht wirkte gebildet, der Teint sehr gepflegt; doch bei näherem Hinsehen hätte man feststellen können, daß sie müde und versorgt aussah und dunkle Schatten unter den Augen hatte.
Hinter ihr bemerkte Mrs. Harris einen Raum von normalen Ausmaßen, der zu einem zweiten führte — graue Teppiche wie auf der Treppe und schöne Seidenvorhänge an den Fenstern, nur mit mehreren Reihen grau-goldener Stühle rundherum möbliert. Einige Pfeilerspiegel, die vom Boden bis zur Decke reichten, vervollständigten die Ausstattung, aber von irgend etwas, was zu verkaufen oder auch nur anzusehen gewesen wäre, fand sich keine Spur.
Madame Colbert, die Directrice, hatte einen schlechten Morgen gehabt. Obwohl sie eine freundliche und wohlwollende Dame war, hatte sie sich zu einem Streit mit Monsieur Fauvel, dem jungen und gutaussehenden Chef der Buchhaltung, den sie sonst recht gern mochte, hinreißen lassen, und sie hatte ihn mit roten Ohren wieder in sein Reich hinaufgeschickt.
Es war nichts weiter gewesen, als daß er nach einer Kundin gefragt hatte, deren
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