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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Rechnungen anscheinend allzulange unbezahlt geblieben waren. An jedem andern Tag hätte Madame Colbert den Buchhalter mit einer scharfsinnigen und keineswegs humorlosen Zusammenfassung der Merkmale, Abneigungen und der Vertrauenswürdigkeit dieser Kundin erfreut, da sich diese ihr früher oder später alle offenbarten. Statt dessen hatte sie ihn ärgerlich angefahren, daß es ihre Sache sei, Kleider zu verkaufen und seine, das Geld einzutreiben, und sie habe wirklich keine Zeit, die Kontoauszüge der Kunden zu prüfen. Das sei seine Aufgabe.
    Sie hatte nicht nur den ganzen Morgen unhebenswürdige Antworten gegeben, sondern auch mehreren Verkäuferinnen gehörig die Meinung gesagt und sich sogar erlaubt, Natascha, den Starmannequin des Hauses, zu schelten, weil sie zu einer Anprobe zu spät gekommen war; und dabei wußte sie doch genau, daß die Métro und die Busse durch Langsamfahren streikten. Schlimmer wurde es noch dadurch, daß die vortreffliche Natascha in völlig unprimadonnenhafter Weise auf die scharfen Worte reagiert hatte; statt daß sie widersprochen hätte oder ausfallend geworden wäre, bildeten sich nur zwei große Tränen in ihren Augen und rollten ihr über die Wangen herab.
    Und außerdem war Madame Colbert keineswegs sicher, ob sie nicht die Einladungen und die Sitzordnung für die Vorführung der neuen Kollektion, die am Nachmittag stattfinden sollte, völlig durcheinandergebracht hatte. Als Abteilungsleiterin war sie eine bedeutende und allmächtige Persönlichkeit im ersten Stock. Von ihr hing es ab, wer eine Einladung zu den großen Modeschauen bekam und wer nicht; sie hielt dem Haus Spione, Neuigkeitenjäger und unerwünschte Elemente fern. Sie hatte für die Verteilung der Plätze zu sorgen, die ebenso schwierig war wie für den Oberkellner in einem vornehmen Moderestaurant, da die Kunden entsprechend ihrer Bedeutung, ihrem Rang und Titel und ihrem Bankkonto placiert werden mußten. Sie war die Directrice einer Modeparade und hatte ein Wort mitzureden, in welcher Reihenfolge die Kreationen vorgeführt wurden, und gleichzeitig war sie die Befehlshaberin eines Bataillons schwarzgewandeter Verkäuferinnen, die sie in breiter Front im Treppenhaus aufstellte und bei denen sie sehr sorgfältig darauf achtete, daß jede einzelne psychologisch auf ihre Kundinnen abgestimmt war — eine heitere, geschwätzige Verkäuferin für eine heitere, geschwätzige Kundin, eine schweigsame und respektvolle Angestellte für eine reife und bedeutende Frau, ein englisch sprechendes Mädchen mit überzeugender Art für eine Amerikanerin, eine gutmütige Prahlerin mit gebieterischem Aussehen für eine Deutsche und so fort.
    Wenn eine so mächtige Persönlichkeit verdrießlich oder mißgestimmt war, dann drangen die Auswirkungen bis in die fernsten Winkel.
    Die Krise, unter der Madame Colbert litt, hatte etwas mit ihrem Gatten Jules und mit der Liebe und Achtung für ihn zu tun, die im Laufe ihres zwanzigjährigen Zusammenseins immer größer geworden waren. Dieser gute und anständige Jules war in einer Fingerspitze gescheiter als alle andern im Auswärtigen Amt mit ihren Ordensrosetten und politischen Verbindungen. Aber etwas fehlte ihm: er besaß nicht die Fähigkeit, sich vorzudrängen, und er hatte keine politischen freunde oder Beziehungen.
    Er hatte als armer Bursche angefangen und sich seine Stellung durch Klugheit und Fleiß erworben. Doch jedesmal, wenn ein besserer oder höherer Posten frei war, wurde er übergangen und ihm ein Mann von geringerem Verstand, aber besseren Verbindungen vorgezogen, der dann in seiner neuen bedeutenden Position Jules’ Erfahrungen dazu benutzte seine Stellung auszufüllen.
    Als seine Gattin und als kluge Frau, au courant mit der Lage der Dinge in Frankreich, wußte Madame Colbert, daß so manches schwierige Problem von der Intuition und dem Verstand ihres Mannes gelöst worden war. Doch immer war er bei Beförderungen übergangen worden, immer wieder waren sein großer Optimismus und seine Begeisterung enttäuscht worden. Im vergangenen Jahr hatte Madame Colbert zum erstenmal eine wachsende Hoffnungslosigkeit und Menschenfeindlichkeit bei ihrem Gatten verspürt. Als Mann von fünfzig Jahren hatte er nun den Eindruck, von der Zukunft nichts weiter erwarten zu können als das Dasein eines Arbeitsgauls im Außenministerium. Er hatte fast aufgegeben, und es zerbrach ihr das Herz, die Verwandlung des Mannes mit ansehen zu müssen, dem sie ihre innige Liebe geschenkt

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