Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
kriegen?» Und hier fiel ihr Blick auf den Bankbeamten und einen anderen jungen Mann, der wahrscheinlich Verkäufer in einem Warenhaus war. «Wieviel bleibt einem insgesamt am Ende einer Woche für Vergnügungen und Hobbys, für eine kleine Reise, einen Theaterbesuch und was immer das Leben für Sie lebenswert macht? Und auf wieviel müssen Sie alle zum Wohl der Familie verzichten? Wer von Ihnen kann die Hand heben, und sagen, daß er immer auskommt?»
Keine Hand hob sich, und niemand sagte etwas oder stellte eine Frage zu diesem Punkt, denn jeder von Ihnen dachte über das gerade an ihm nagende Finanzproblem nach, von dem er geglaubt hatte, er habe es bereits beiseite geschoben, und das hier nun plötzlich wieder vor ihnen stand.
«Sie wollen uns nicht leben lassen!» rief Mrs. Harris. «Aber man muß sie dazu zwingen.»
Sie bot zwar nicht einmal einen Plan oder ein Heilmittel gegen die soziale Ungerechtigkeit an, unter der sie alle litten, doch so, wie sie das Wort «sie» aussprach, ohne zu sagen, wen sie damit meinte, schuf sie einen Sündenbock, der für jeden von ihnen ein anderer war, aber gegen den sich ihr Groll richten konnte. Man hörte mehrmals deutlich murmeln: «Hört! Hört!»
Dann wandte sie sich den Mods und Rockers, den Beatniks, den Atomwaffengegnern zu, doch die Komiteemitglieder hörten kaum noch zu. Sie waren von ihren Worten wie hypnotisiert und träumten von einer Welt, in der man endlich, wenn auch nur für kurze Zeit, genug Geld haben würde, um ohne die unaufhörlichen finanziellen Sorgen und die auf die Nerven gehende Angst davor, sein Bankkonto zu überziehen, leben zu können. Die schmucke kleine Frau in dem marineblauen Kostüm, mit Hut und Schleier, rief sie auf, für eine Welt zu kämpfen, in der man frei atmen konnte.
«Ratenkäufe», sagte Mrs. Harris, «würde ich gesetzlich verbieten. Man bezahlt das, was man bekommt, oder man bekommt es eben nicht.»
Alle dachten an die Dinge, die sie gekauft hatten und von denen sie wünschten, sie hätten es nicht getan, und an die Schuldenlast, die schwer auf ihren Schultern lag.
Schließlich gingen Mrs. Harris, wie im Haus von Sir Wilmot, der Atem und die Ideen aus, und sie verstummte. Die Macht ihrer Beredsamkeit und des Zauberslogans «Leben und leben lassen» waren so groß, daß alle eine halbe Minute lang schwiegen, bis Charlie Smyce den Zauber brach und in einem so gemeinen Ton, wie man es von ihm erwarten mußte, sagte: «Und wie denken Sie über die Außenpolitik, Mrs. Harris? Über Kenia, Zypern, den Jemen, Aden, Rhodesien und den Kongo zum Beispiel?»
Und wie ein Schauspieler, der auf sein Stichwort gewartet hat, fiel Philip Aldershot ruhig ein: «Mrs. Harris glaubt an die Freiheit für unterdrückte Völker und den Schutz der britischen Interessen, wo immer sie bedroht werden. Stimmt’s, Mrs. Harris?»
Ada Harris ergriff die Rettungsleine, die ihr zugeworfen wurde, anmutig und geschickt. «Ich hätte es selber nicht besser sagen können», sagte sie, womit sie dem pensionierten Militär ein weiteres «Hört! Hört!» entlockte.
Eines der männlichen Mitglieder des Komitees, vielleicht Direktor einer kleinen Fabrik, fragte: «Was halten Sie von der Erbschaftssteuer, Mrs. Harris?»
«Sie ist eine Geißel und eine Schande», antwortete sie. «Es ist ein Wunder, daß wir nicht alle von den Toten heimgesucht werden, die man um alles betrogen hat, was sie in ihrem Leben für ihre Erben geschaffen haben!» Und sie hatte ihn in der Tasche.
«Mrs. Harris würde sehr gern noch weitere Fragen beantworten», sagte Philip Aldershot. «Aber vielleicht möchten Sie die Gelegenheit benutzen, um untereinander zu diskutieren, was Sie gehört haben.»
«So ist es», sagte der Vorsitzende. «Ich schlage vor, darüber abzustimmen, die Sitzung zu schließen und Mrs. Ada Harris zu danken, daß sie hergekommen ist und uns ihre Ansichten dargelegt hat.»
Charlie Smyce öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Aldershot warf ihm einen Blick zu, und er schloß den Mund wieder, ließ über die Schließung der Sitzung abstimmen, und die drei gingen hinaus.
«Wahrhaftig», sagte Philip Aldershot im Flur, «Sie waren wunderbar, Mrs. Harris.»
Mrs. Butterfield machte ein entsetztes Gesicht. «Lieber Gott, habe ich eine Angst!» sagte sie. «Das ist nichts für unsereinen. Aber vielleicht hast du Glück, und sie nehmen dich nicht.»
«Nehmen sie nicht?» sagte Philip Aldershot. «Sie haben den Köder, den Haken, die Leine und den Senker
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