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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelia Carr
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fürchtete wie sie selbst.
    Während sie Tomaten für einen Salat in Scheiben schnitt, blickte sie durch die offene Terrassentür nach draußen. Sarah, Ellen und Bob saßen am Tisch neben dem Pool und nippten an ihren Drinks. Sie hatten angeboten, ihr bei der Vorbereitung des Lunches zu helfen – jedenfalls Ellen und Sarah –, aber sie hatte sie aus der Küche gescheucht und gesagt, dass sie das allein tun wolle.
    Sie fand, dass Ellen müde aussah. Langstreckenflüge waren kein Vergnügen, wenn man älter wurde, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Und Ellen war zweifellos älter geworden. Nancy war entsetzt darüber gewesen, wie viel älter Ellen aussah. Es war natürlich dumm, aber sie hatte sich Ellen immer so vorgestellt, wie sie früher gewesen war – na ja, mit Mitte dreißig vielleicht. Es hatte ihr einen ziemlichen Schock versetzt, stattdessen eine ältere Frau mit grauen Strähnen im Haar, Fältchen im Gesicht und schlaffer Haut unter einer ehemals straffen, wohlgeformten Kinnpartie zu sehen und zu wissen, dass diese Frau ihre Tochter war. Das war doch wohl unmöglich! Mein Baby? Aber mein Baby ist fast sechzig Jahre alt. Sich das einzugestehen hatte Nancy das eigene Alter schärfer vor Augen geführt als sämtliche ihrer alltäglichen Gebrechen oder das alternde Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegensah, ja, sogar schärfer als die unerfreuliche Nachricht, die der Arzt ihr erst vor ein paar Tagen eröffnet hatte. Mein Baby wird alt. Wie alt bin ich dann erst? Doch Ellen sah immer noch gut aus. Sie hatte sich gut gehalten. Und … vielleicht liegt es ja auch in den Genen, dachte Nancy und lächelte vor sich hin, ehe dieser Gedanke sie plötzlich wieder unangenehm an das Gespräch erinnerte, das vor ihr lag.
    Wie um alles in der Welt sollte sie es Ellen bloß beibringen? In stillen Momenten war Nancy das Gespräch im Geiste immer wieder durchgegangen und hatte sich verschiedene Möglichkeiten überlegt, wie sie das Thema anschneiden konnte, doch keine war ihr richtig erschienen. Sobald sie sich den Augenblick vorstellte, an dem es kein Zurück mehr gab und sie die Täuschung zerstören musste, auf der Ellens Leben gründete, wurde ihr angst und bange. Es war ihre eigene Schuld, sie konnte niemand anderen dafür verantwortlich machen. Einen Teil der Schuld hätte sie zwar Joe geben können, weil er nicht gewollt hatte, dass Ellen es erfuhr, doch das würde sie nicht tun, es sei denn, man fragte sie ausdrücklich nach Joes Rolle. Die Jahre des Schweigens waren ein Netz, das sie selbst gesponnen hatte; die Entscheidung, die Wahrheit zu verheimlichen, war der Biss, mit dem die Spinne ihre Beute lähmte. Und indem sie die Wahrheit verschwiegen hatte, hatte sie nur das ursprüngliche Unrecht verstärkt. Sie hätte so tapfer sein und es schon vor Jahren zugeben sollen, statt sich selbst vorzumachen, dass sie nur schwieg, um andere zu schützen. Tatsächlich hatte sie damit die Dinge nur noch schlimmer gemacht.
    Ach, Ellen. Nancy schob ein Handgelenk über das andere, hackte auf die Tomate ein und blutete innerlich über den Schmerz, den sie ihrer Tochter bald bereiten musste. Aber Ellen war stark, oder etwa nicht? Sie war schließlich auch Macs Tochter. Und sie hatte Bob. Nicht zum ersten Mal dankte Nancy Gott dafür, dass Bob ebenfalls mitgekommen war. Er tat Ellen gut, immer schon. Sie waren zwar sehr verschieden, aber ihre Persönlichkeiten ergänzten einander perfekt. Bob verfügte über einen gesunden Pragmatismus, der Ellen ein Rettungsanker sein konnte, wenn sie es nur zuließ. Nancy hatte mit angesehen, wie Ellen sich ihm in den dunklen Tagen nach Johns Tod zuwandte. Sie hatte zwar nicht gewollt, dass ihre Tochter ans andere Ende der Welt flog und sich dort ein Leben aufbaute, schon gar nicht so kurz nachdem sie ihren geliebten Sohn verloren hatte, doch sie hatte sich gesagt, dass dieser Neuanfang Ellens Rettung sein würde, und sie hatte Recht behalten. Und wenn Bob ihr damals schon eine Stütze gewesen war, wie viel mehr würde er es erst jetzt sein, nachdem sie einander durch vierzig Jahre Ehe verbunden waren.
    Komischerweise hätte Nancy am liebsten Bob die Wahrheit offenbart und es ihm überlassen, Ellen zu informieren. Es würde ihr leichter fallen, ihren törichten Fehltritt gegenüber jemandem zuzugeben, der nicht ihr eigenes Fleisch und

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