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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelia Carr
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Getränkewagen und ein nie enden wollender Strom von Passagieren, die sich auf dem Weg zur Toilette an mir vorbeischieben; das gelangweilte Kind in der Sitzreihe hinter mir tritt gegen meine Rückenlehne – und auf diese Weise muss ich noch weitere vier Stunden ausharren. Inzwischen habe ich die Nase gestrichen voll; die Zeit bis zur Landung scheint sich noch endlos hinzuziehen. Ich fliege für mein Leben gern – aber nicht als Passagier in einem Jumbojet. Wirklich nicht.
    Ich habe die Bordmagazine durchgeblättert und versucht, den Roman von Sarah Waters weiterzulesen, den ich auf dem Hinflug begonnen, aber während der gesamten drei Wochen in Florida nicht einmal angeschaut habe. Anscheinend habe ich den Faden verloren, und ich bringe auch nicht die nötige Konzentration auf, um wieder von vorn anzufangen. Ich habe ein bisschen vor mich hingedöst und wurde jedes Mal wieder geweckt, entweder von der Stewardess oder einem Passagier, der sich die Beine vertreten wollte, oder von dem komischen Klingeln, das in regelmäßigen Abständen die Stille unterbricht, oder aber vom Kapitän, der uns über die Flugposition und die Wetterbedingungen informierte. Und wie jedes Mal habe ich mich verflucht, dass ich kein Upgrade für die Club Class gebucht habe, wo ich mehr Beinfreiheit und Ruhe gehabt hätte. Wieso erscheint mir der Rückflug immer so viel anstrengender als der Hinflug? Warum stören mich all die Kleinigkeiten so viel mehr? Wahrscheinlich, weil mir auf dem Hinflug nach Florida die Freude auf die vor mir liegenden Wochen Auftrieb gibt, während es mir jetzt so vorkommt, als schlössen sich Ketten um meine Hand- und Fußgelenke, und mit jeder zurückgelegten Flugmeile die Probleme und Anstrengungen des Alltags näher rücken.
    In der Kabine ist es jetzt dämmrig; sie haben die Jalousien heruntergezogen und das Licht zu einem matten bläulichen Schein gedimmt, und die Bildschirme, auf denen sonst die Bordfilme laufen oder die animierte Grafik eines kleinen Flugzeugs über dem endlosen azurblauen Meer zu sehen ist, sind dunkel. Ich ziehe die leichte Decke bis zum Kinn empor und versuche, eine bequeme Position für meinen Kopf zu finden, aber ich weiß genau: Gerade, wenn ich anfange einzudösen, wird wieder irgendetwas passieren, was mich aufweckt. Deshalb schließe ich nur die Augen und gebe mich meinen Gedanken hin.
    Es gibt ziemlich viel, worüber ich nachdenken muss. Mehr als genug, um mich den ganzen Weg bis nach Heathrow zu beschäftigen.
    Zuallererst natürlich Grandma Nancy und die Sache, die sie mir aufgetragen hat – diesen Mac zu finden, den sie kennengelernt hat, als sie vor mehr als sechzig Jahren für die ATA in England flog. Sie hat mich gebeten, entweder ihm oder, falls er nicht mehr leben sollte, seiner Familie einen Orden zurückzugeben, den er ihr einmal geschenkt hat. Sie sagte, dass dieser rechtmäßig seiner Familie gehöre und sie verhindern wolle, dass Ritchie ihn wegwirft, sollte ihr irgendetwas zustoßen und er gezwungen sein, ihren Haushalt aufzulösen. Aber eigentlich glaube ich, dass mehr dahintersteckt. Sie blühte regelrecht auf, als sie von ihm sprach – so habe ich sie noch nie erlebt –, und sie schien richtig wehmütig zu sein. Vermutlich möchte sie selbst wieder Kontakt zu ihm aufnehmen und ihn vielleicht sogar treffen – oder wenigstens erfahren, was aus ihm geworden ist.
    Dieser Gedanke ist für mich ziemlich beunruhigend. Nie zuvor wäre mir in den Sinn gekommen, dass es für sie jemand anderen als Grandpa Joe gegeben hat. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Oder besser gesagt: Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher – so sicher, wie man sich nur sein kann. Sie hat diesen Mac geliebt. Sie hat die Erinnerung an ihn all die Jahre in ihrem Herzen getragen, und wir haben nichts davon geahnt – ich jedenfalls bestimmt nicht. Und nun, wo das Ende ihres Lebens näher rückt, denkt sie wieder an ihn; er ist derjenige, der am Ende ihrer Tage in der Dunkelheit auf sie wartet.
    Zuerst hat es mir ja einen ordentlichen Schock versetzt. Nancy war für mich immer bloß Nancy – freundlich und liebevoll, fröhlich, meine geliebte Großmutter eben, aber irgendwie hätte ich ihr nie die Leidenschaften, Schwächen und Fehler von ganz normalen Menschen zugestanden. Ich habe sie immer als zeitlos betrachtet, dem Wandel entzogen,

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