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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wie sie ihm zuhörte, trotz seines schlechten Englischs. Dass irgendetwas an ihm sie zu faszinieren schien. Wie von selbst war es darauf zugelaufen, dass sie sich für den Abend verabredeten. »Ich bin verheiratet«, hatte er ihr zu einem rechtschaffen frühen Zeitpunkt eröffnet, aber das schien sie nicht zu interessieren.
    Und er, er hatte in jenem Moment, als es darum gegangen war, sich von ihr zu verabschieden oder ihr die Treppe hinauf zu folgen, zwar an Helene gedacht, aber sich dann gesagt, was sich schon viele Männer in solchen Momenten gesagt haben mussten: Wie soll sie es je erfahren?
    Simon grübelte düsteren Gemüts darüber nach, wie viele Männer wohl ebenso teuer für ein einziges kleines Abenteuer bezahlt hatten, für eine Nacht voller Missverständnisse, perlenden Gelächters und ein paar Minuten mäßig heftiger Leidenschaft.
    Nicht, dass er Lila einen Vorwurf machte. Sie hatte ihn nie behelligt, hatte nie Geld gewollt, nie Ansprüche irgendwelcher Art erhoben.
    Auch Vincent war kein Vorwurf zu machen. Dass er hatte wissen wollen, wer sein Vater war, war sein gutes Recht gewesen.
    Der Einzige, dem ein Vorwurf zu machen war, war er selber.
    Simon wog die CD unschlüssig in der Hand. Sosehr er sich auch bemühte, er hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, was das alles zu bedeuten haben mochte. Dazu verstand er wahrscheinlich zu wenig von Computern. E-Mails, Internet und solcheDinge – das hatte ihn nie interessiert. Und er hoffte immer noch, dass er sich auch nicht mehr dafür würde interessieren müssen.
    Er betrachtete sein verzerrtes Abbild auf der spiegelnden Umhüllung der Kaffeekanne. Über dreißig Jahre lag das alles zurück, kaum zu fassen. Damals hatte er noch dichtes, schwarzes Haar gehabt, nicht diese weißen Locken, die ihm heute ein so unangemessen vornehmes Erscheinungsbild verliehen. Und Lila … Wie sie mittlerweile aussehen mochte? Damals war sie ein junges Mädchen gewesen, übermütig, lebenslustig und attraktiv, und irgendwie stellte er sich vor, dass sie all das immer noch war, selbst mit Mitte fünfzig.
    Er hätte sie gerne angerufen, um vielleicht von ihr zu erfahren, was los war. Aber sie zog nach wie vor alle Jahre um; er besaß längst keine aktuelle Adresse oder Telefonnummer mehr von ihr.
    Nichts als Schwierigkeiten.
    Das Beste würde sein, erst einmal zu tun, was Vincent von ihm wollte. Und dann sah man weiter.
    Er las den Brief ein letztes Mal durch, um ihn sich einzuprägen und sich zu versichern, dass er wirklich nichts darin überlesen hatte. Dann stand er auf, holte Streichhölzer aus einer Schublade und, nach kurzem Überlegen, die Fleischzange aus einer anderen. Die war ein Überbleibsel aus Ehetagen; er selber verwendete sie praktisch nie. Aber um einen brennenden Brief über das Spülbecken zu halten, war sie ideal.
    Er verfolgte, wie das Papier verbrannte, wie glimmende Stücke davon herunterfielen. Die kokelnden Reste ließ er los und sah zu, wie die letzten Worte in Vincents Handschrift verkohlten. Das Metall des Spülbeckens knackte leise.
    Den Umschlag auch noch, wie Vincent es verlangt hatte. Das dauerte länger und rauchte wesentlich stärker; vermutlich wegen des Polstermaterials. Simon öffnete das Fenster über der Spüle, damit der Rauch abziehen konnte, und als endlich alles verbrannt war, schüttelte er die Asche von der Zange und drehte den Wasserhahn auf, um alles fortzuspülen.
    Welchen Verlauf sein Leben wohl genommen hätte, wenn er Vincents ersten Brief damals auch einfach verbrannt hätte?
    Besser, er dachte nicht darüber nach. Besser, er konzentrierte sich darauf, ein gutes Versteck für die CD zu finden. Und das schnell; es war höchste Zeit, aufzubrechen.

KAPITEL 15
    S imon verließ das Haus, schritt aus, die Aktentasche in der Hand, fest entschlossen, nicht mehr an Vincents Brief zu denken. Natürlich konnte man nichts absichtlich vergessen, aber man konnte an andere Dinge denken. Sich umsehen, die Welt beobachten, sich seine Gedanken machen.
    Bis zu seiner Schule hatte er es nicht weit. So gesehen lag die Wohnung ideal, in der er nun schon seit über dreißig Jahren lebte. Anfangs hatten sie zur Miete gewohnt, Helene und er, aber als sich ihm später die Gelegenheit geboten hatte, die Wohnung zu kaufen, hatte er es getan. An dem Kredit zahlte er allerdings immer noch.
    Nicht, weil ihm Helene so viel Unterhalt abknöpfte. Im Gegenteil, sie hatte ihn erstaunlich früh gebeten, ihr kein Geld mehr zu überweisen. Sie hatte auf eigene

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