Ein koestliches Spiel
wirkte nicht überzeugt. Prudence blickte sich um auf der Suche nach etwas, um die Sache ein für alle Mal zu beenden. Da kam ihr ein Einfall.
Schnell griff sie nach den Papieren, die er so achtlos weggeworfen hatte. „Meine Briefe!“, erklärte sie ihrem Großonkel. Sie drehte sich um und wedelte damit Lord Carradice vor dem Gesicht herum. „Sie sind herzlos, sie mir so vor die Nase zu halten, sie mit solcher Missachtung zu behandeln. Es ist aus, Lord Carradice! Ich will Sie nie Wiedersehen!“ Damit riss sie die Briefe entzwei und warf sie mit Schwung ins Kaminfeuer. „Oh, dass ich je so dumm war, mein Herz einem Schürzenjäger zu schenken!“ Das Feuer leckte an dem Papier, dann loderte es kurz auf.
„Oh nein, nicht meine billets doux. Meine Liebesbriefe!“, rief Lord Carradice mit erstickter Stimme. Er eilte zum Kamin und versuchte vergeblich, die brennenden Blätter zu retten. An einem verbrannte er sich die Finger und ließ es mit einem leisen Fluch wieder fallen.
Verblüfft beobachtete ihn Prudence. Die zerrissenen Papierfetzen kräuselten sich in den Flammen, wurden zu Asche. Das konnte nicht sein Ernst sein. Bestimmt waren das keine echten Liebesbriefe, die sie verbrannt hatte? Er hatte nur flüchtig daraufgeblickt und sie vollkommen ungerührt in den Kohleneimer geworfen. Alles, was in den Kohleneimer geworfen wurde, war doch sicher zum Verbrennen gedacht, oder?
Aber er sah so ehrlich bestürzt aus. Ein hohles Gefühl machte sich in ihrer Brust breit.
Was, wenn es wirklich Liebesbriefe waren? Hatte er sie ungelesen weggeworfen, um sie später zu holen? Sie hatte alle möglichen klugen Verstecke für Phillips seltene Briefe erdacht, um sie vor neugierigen Augen zu verbergen. Bis auf einen besonderen, den sie wie einen Schatz hütete, waren seine Briefe nicht romantisch. Phillip war ein prosaischer Schreiber, und seine Briefe waren gewöhnlich nicht mehr als eine knappe Aufzählung seiner täglichen Aktivitäten. Dennoch hätte sie selbst den langweiligsten nie in eine Kohlenschaufel gelegt.
Prudence biss sich auf die Lippe. Lord Carradice starrte in das Feuer, sah zu, wie die Briefe verbrannten. Er wirkte wie am Boden zerstört. Selbst seine Augen lachten nicht länger.
Sie stöhnte innerlich. Warum hatte sie diese idiotische Idee je in Erwägung gezogen? Es hatte so einfach gewirkt. In ihrer Familie musste Wahnsinn erblich sein. Großvater war jedenfalls sicherlich ... exzentrisch. Aber selbst er war nie in das Haus eines zurückgezogen lebenden Dukes geplatzt, um zu behaupten, mit dem Duke heimlich verlobt zu sein - der in Wahrheit ein Lord war und offensichtlich auch noch ein berüchtigter Lebemann -, und dann dessen Liebesbriefe zu verbrennen.
Am Ende hatte ihn die Verfasserin dieser Briefe von seinem bisherigen Lebensstil bekehrt? Liebe konnte so etwas bewirken, das hatte sie gelesen.
Sie dachte an den einen besonderen Brief, den Phillip ihr geschickt hatte. „Du bist der Traum, der mich weitermachen lässt in diesem Höllenloch auf Erden. “
Gleich würde Lord Carradice sich wütend zu ihr umdrehen, seine unerklärliche Mitwirkung an ihrer Scharade aufkündigen und Großonkel Oswald und dem Duke die Wahrheit offenbaren. Dann musste sie alles gestehen, und sie wusste sehr gut, was dann geschehen würde: Sie würde in Schimpf und Schande nach Norfolk zurückgeschickt. Und dann würden sie und ihre Schwestern niemals entkommen.
Prudence war übel. Sie hatte geglaubt, sie hätte sich einen cleveren Plan ausgedacht, aber in Wahrheit hatte sie alles ruiniert.
Lord Carradice seufzte abgrundtief, wodurch er die Aufmerksamkeit aller wieder auf sich lenkte. „Nun gut, es war einen Versuch wert“, erklärte er bedauernd.
Prudence musste schuldbewusst an seine verbrannten Finger denken. Selbst leicht verkohlte Liebesbriefe waren besser als gar keine.
„Ich nehme an, eine solche Täuschung musste am Ende irgendwann auffliegen“, fügte er hinzu. „Lügen haben nun einmal kurze Beine.“ Er blickte betrübt zu Prudence.
Lügen! Er wollte sie bloßstellen! Prudence holte tief Luft und wappnete sich für das Schlimmste.
„Ich entschuldige mich dafür, Sie getäuscht zu haben, Miss Merridew!“
Sie blinzelte.
„Du kannst damit doch nicht andeuten wollen, dass du diese junge Dame wirklich bezüglich deiner wahren Identität getäuscht hast, Gideon?“ Der Duke sah leicht schockiert aus.
Lord Carradice zuckte betreten die Achseln. „Du weißt doch, dass ich ein Bruder Leichtfuß bin,
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