Ein Kreuz in Sibirien
guten Beruf erlernt und fährst nun einen Kühlwagen. Das Schicksal hat dich nie in den Arsch gekniffen, immer lief das Leben glatt ab, in geschmierten Bahnen. Bist immer wieder ins Ziel gekommen, hast dich in dein Bett legen können, ohne zu denken: Was wird morgen? Wer tritt dich dann? Wie kannst du deinen Hunger stillen? Und wenn du aufgewacht bist, hast du nicht nach einem Eckchen Brot suchen müssen, nach einem Klümpchen Butter und einem Kleckschen Marmelade. – Was weißt du vom Leben?« Mustai Jemilianowitsch zog das Messer aus seinem Gürtel. Es war ein halblanger, spitzer Dolch, beidseitig rasiermesserscharf, eine gefährliche Waffe in der Hand eines Geübten. »Das werde ich Bataschew zeigen«, sagte er. »Wo bleiben dann seine Fäuste? In der Luft … so ist es!«
»Besser wäre es, sich auszusprechen«, meinte Abukow und drückte Mustai s Hand mit dem Dolch zur Seite. » Bataschew und du, ihr müßt in Zukunft zusammenarbeiten.«
»Können sich Lamm und Tiger vertragen? Abukow , stell nicht die Natur auf den Kopf.«
Bataschews buntbemalte Hütte am Rand der Rangiergleise erreichten sie nach einer Stunde. Vorher machte Mustai noch einen Umweg zu einem Stehrestaurant, trank zwei Bier, zwei Wodkas und zwei Kognaks und sagte feierlich: »Der Prophet verzeihe mir diese Sünde, aber es ist Medizin. Es kräftigt meinen Mut und mein Zielauge . Und Medizin ist uns erlaubt!«
So war Mustai in bester Stimmung und voll steppenheißen Mutes, als sie Bataschews Tür aufstießen und eintraten. Dabei trug Mustai seine Jacke offen – jeder konnte den blanken Dolch sehen.
Seine Hände krallten sich griffbereit in den Gürtel. Zum Glück war Bataschew nicht da. Irgendwo auf dem weiten Bahngelände rangierte er Güterwaggons – sehr unkonzentriert, das muß gesagt werden, denn seine Gedanken waren bei Mustai . Jetzt kommt er in Surgut an, der rothaarige Teufelsschwanz, dachte er. Komm nur, komm nur! Wenn du mich erkennst und blaß wirst, hast du schon den ersten Schlag weg …
Im Haus betrachtete Mustai den überschweren Sandsack, erkannte die darauf gemalten roten Haare und verstand genau, welche Motive Bataschew zu diesem Kunstwerk getrieben hatten.
»Eine Annäherung wird es nicht geben, Victor Juwanowitsch «, sagte er geradezu traurig. »Ich habe mich überzeugt, daß man mich tief beleidigt hat. Meine Ehre ist beschmiert. In Usbekistan reicht das aus, um ein Grab zu schaufeln.«
»Wir sind hier in Surgut, und du wirst versuchen, mit Maxim Leontowitsch auszukommen!« rief Abukow heftig.
»Ein Lämmlein von Mann bin ich«, schrie Mustai zurück. »Er will mich vernichten, der Grigorjewa wegen. Aufklären sollte man ihn, daß die schöne Witwe ihre Röcke wie Fahnen ins Fenster hängt: Herbei! Herbei! Das Bett ist frei. Bataschew ist doch nur ein Nagel in ihrer Bettstatt!« Mustai seufzte laut. »Aber sage ihm einer das!«
Die Gelegenheit kam bald. Bataschew kehrte zurück, um sich ein Stück Kuchen zu holen, und blieb mit finsterer Miene an der Tür stehen, als er Abukow und vor allem Mirmuchsin erkannte. Mustai holte sofort seinen Dolch aus dem Gürtel, stieß ihn in die Tischplatte und fühlte sich wohler. Die Klinge und der Griff zitterten in der heißen Luft. Bataschew begriff sofort, zog sich an seinen Sandsack zurück und lehnte sich dagegen. Seine Knollennase blähte sich noch mehr, dann mußte er niesen, putzte sich die Nase und zog die rutschende Hose höher.
»Nachdem die beiden Ochsen sich genügend begafft haben«, sagte Abukow energisch, »sollte man darüber reden, was morgen geschieht. Maxim Leontowitsch …«
»Der Wagen steht beladen bereit, randvoll, bis unters Verdeck. Ist noch eine Kleinigkeit hinzugekommen, Victor Juwanowitsch : neun Schlafdecken, ein Küchenschrank, drei Dieselmotoren, vier Elektromotoren, ein kleines Transportband. Alles fabrikneu.«
»Mir wird es unheimlich, Bataschew !« Abukow setzte sich mit wirklich weichen Knien. »Wenn wir gefaßt werden …«
»Zehn Jahre Sibirien mindestens«, sagte Bataschew gemütlich. »Da wir schon in Sibirien sind, ändern sich nur die ganz persönlichen Lebensumstände. Wer aber soll uns anzeigen?«
»Jede Milizkontrolle auf der Straße!«
»Die Möbel gehören mir. Möchte den sehen, der das bezweifelt. Das Transportband hat der rote Bock da gekauft, für seine Limonadenfässer. Zu schwächlich ist er geworden vor lauter Weibern, um die Fässer aus eigener Kraft hochzustemmen. Und zu einem Transportband gehört ein Motor. Jeder
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