Ein Kreuz in Sibirien
Haluschkies – das sind köstliche Eierklöße – und im Mund zerschmelzende Syrniki – so heißen süße Quark- Beignets . Dazu tranken sie Rotwein, sangen Soldatenlieder, und Bataschew tanzte sogar einen Krakowiak, so wie ihn ein gut dressierter Bär tanzen würde; genauso sah es jedenfalls aus. Ein Jubel war in dem Zimmer, der bis hinaus auf den stillen, nächtlichen Platz drang. Jachjajew hatte Abukow s Besuch nicht mehr erwartet, aber er war noch auf, saß in einem Sessel und lauschte auf ein Konzert aus dem Plattenspieler. Die Symphonie classique von Prokofieff .
Abukow entschuldigte sich, zeigte Jachjajew einen mitgebrachten Schweinebraten und stimmte Mikola Victorowitsch damit sehr milde.
»Mein lieber Freund«, sagte Jachjajew ölig und führte Abukow zu einem Sessel. »Nehmen Sie Platz. Hören Sie sich das an. Erholen Sie sich. Dieser Orchesterklang! Man ist wie verzaubert …«
Abukow setzte sich. Dabei fiel sein Blick kurz auf Jachjajews Schreibtisch. Es war ein schneller, streifender Blick, aber Abukow erstarrte, als sei er in Eiswasser gefallen.
Auf ein paar amtlichen Papieren lag obenauf sein Brief an Morosow , den er Novella Dimitrowna mitgegeben hatte.
13
Abukow hätte seinen Besuch bei Jachjajew am liebsten sofort abgebrochen. Der Brief hinter ihm auf dem Schreibtisch schien Strahlen auszusenden, die im Nacken wie Feuer brannten. Aber er konnte nicht so unmotiviert gleich wieder aufbrechen, das hätte Jachjajews Verdacht geweckt. So hörte er sich die eine Plattenseite der Prokofieff-Sinfonie an und stand erst auf, als sie abgespielt war und Jachjajew die Platte wendete.
»Sie wollen schon wieder gehen?« fragte der Politkommissar. »Tun Sie mir das nicht an! Wie langweilig sind die Abende! Mit wem kann man hier sprechen? Bei Rassim artet jedes Gespräch nach drei Minuten in einen Streit aus. Mit Larissa Dawidowna zu sprechen ist immer, als würde man einen Eisberg streicheln. Dshuban länger als eine Viertelstunde anzusehen wäre schon pervers … Was bleibt einem also nur als die Musik und ein Gast, der dafür Verständnis hat.«
»Schon spät ist es«, sagte Abukow und gähnte, um seine Müdigkeit zu unterstreichen. »Und ein anstrengender Tag war heute: Erst der Transport, dann das Abladen und die Arbeit für das Theater – sogar eine Probe habe ich heute abend noch gehabt und die Rollenbücher verteilt und die Noten … das reicht für einen Tag. Nur eine Bitte könnte ich noch anbringen.«
»Wenn sie erfüllbar ist?«
»Papier brauchen wir. Viel Schreibpapier für Abschriften von Texten und Noten. Da könnten Sie einen wichtigen Beitrag zum Kulturaufbau leisten.«
»Zugestanden!« Jachjajew war in Geberlaune. »Auch Bleistifte?«
»Das wäre schön. Danke, Genosse.«
»Sie haben gehört, was hier in Ihrer Abwesenheit geschehen ist?« fragte Jachjajew scheinbar unverfänglich. Abukow war auf der Hut wie ein Fuchs.
»Keine Einzelheiten«, sagte er. »Nur Bruchstücke … fast nur Gerüchte …«
»Im Block III tauchten wertvolle Lebensmittel auf. Hühner, Fleisch, Butter, Schmalz, Schokolade, Zucker, Nudeln – aber in Gribows Magazin fehlt nichts! In der Küche ebensowenig. Alle Listen stimmen. Lieferung, Bestand, Ausgabe – korrekt bis aufs Gramm.«
»Hat man das bei Gribow anders erwartet?« fragte Abukow und tat ganz unschuldig.
»Aber all die herrlichen Dinge waren da und wurden im Lager heimlich gefressen; sie können doch nicht vom Himmel gefallen sein!« Jachjajew lächelte hinterhältig. »Ein intelligenter Mensch sind Sie, Abukow : Wo könnte man da eine Erklärung suchen?«
»Nur einen Weg gibt es, wenn Sie mich fragen: den Weg von draußen! Die Arbeitsbrigaden müssen die Dinge abends mitbringen.«
»In den Sümpfen gibt es keine Selbstbedienungsläden!«
»Aber es könnten Jäger sein, Rentiernomaden der Schanten , Mansen und Nenzen. Wir wissen ja: das angeblich einsame Sibirien, die Taiga, ist gar nicht so einsam.«
»Und die Eingeborenen verschenken Fleisch und Hühner?«
»Aus Mitleid. Können Sie das nicht verstehen, Mikola Victorowitsch ?«
Jachjajew vermied es natürlich zu antworten. Abukow s Theorie war nicht ohne Logik, das mußte man zugestehen. Die herumziehenden Ureinwohner der Taiga konnten sehr leicht mit den Arbeitskolonnen in Berührung kommen und ihnen Waren zustecken, die sie in den über das Land verstreuten staatlichen Magazinen einkauften. Oder eintauschten gegen ihre erbeuteten Felle. Und außerdem sagte Abukow jetzt auch
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