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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wirst du spüren, was ich meine. Bald blickt jeder in den Himmel mit schrecklicher Angst, weil die Kraft der Sonne nachläßt. Dann ziehen Wolken heran, der Regen weicht das Land auf. Schließlich kommt die Kälte, und jeder bittet Gott Tag und Nacht nur noch um das eine: Laß mich den Winter überstehen!«
    In dieser Nacht blieb Professor Polewoi bei Abukow , hob ab und zu den Kopf und lauschte in die fahle Dunkelheit hinein. Ihm war, als höre er Flüstern, als schlafe auch Abukow nicht, sondern als bete er ohne Unterlaß.
    In drei Jahren werde ich frei sein, wenn ich sie überlebe, dachte Polewoi . Er aber bleibt in Sibirien, bleibt bei den neuen Verdammten. Denn der Strom menschlicher Leiber in die Taiga und Tundra wird nie aufhören – die Blutbahn, die sich durch Sibirien zieht, vom Ural bis zum Kap Deschnew .
    Mein armer Priester, wie unbegreiflich mußt du Gott lieben …
    Die Premiere der ›Lustigen Witwe‹ fand an einem Sonntag Ende September statt.
    Auf den ersten Bankreihen saßen die Offiziere, die Zivilangestellten und der Nachfolger Jachjajews – ein junger KGB-Offizier, den man von Simferopol an den Ob versetzt hatte und der die meiste Zeit damit verbrachte, seiner schönen, warmen Krim-Heimat nachzutrauern. Was man ihm eingeredet hatte – nämlich, daß es eine Ehre sei, in Sibirien dem Fortschritt zu dienen –, das sah er nicht ein. Der einzige Mensch, der ihn hier zu verstehen schien und dem er sich fast wie ein Freund anschloß, war Abukow .
    Der arme Mensch hieß Ilja Stepanowitsch Wolozkow und hinterließ eine süße, schwarzgelockte Verlobte, die ihm zum Abschied gesagt hatte: »Komm bald wieder, Iljuscha !« Womit klar ausgedrückt war, daß die Kleine nie Simferopol verlassen und nach Sibirien nachkommen würde.
    Wolozkow hielt Abukow s Theater für eine geniale Idee. Schon das nahm Kommandant Rassim mit einem mißmutigen Knurren zur Kenntnis. Völlig seine Achtung verlor der Neue dann, als er zu Jachjajews berüchtigtem Holzstall meinte: »Das mutet ja an, als hätten wir die Stalin-Ära nie überwunden. Ideologisch überzeugen muß man können, nicht durch unmenschliche Strafaktionen, die bloß neuen Widerstand provozieren.«
    Rassim sagte denn auch im vertrauten Offizierskreis: »Dieser Wolozkow ist ein wahres Arschloch. Ein Milchpisser. Genossen, wohin kommen wir bloß mit dieser neuen Mode aus Moskau? Was hört man denn alles: Rockmusik in Diskotheken, Jeans tragen sie wie die Amerikaner, lungern auf Plätzen herum und röcheln Jazz, zitieren Gedichte, die wie Furzlaute klingen, und sind auch noch stolz darauf, daß sie faulenzen. Ha, wenn ich da an meine Komsomolzenzeit denke, da hatten wir noch Zack in den Knochen!« Rassim war wirklich außer sich vor Sorge. »In ein Straflager schickt man uns einen Kerl wie Wolozkow , so einen blumenscheißenden Theoretiker!«
    Jedenfalls saßen sie nun alle äußerlich friedlich in den ersten Reihen des Theaters, hinter sich die Häftlinge in ihren besten Kleidern, gewaschen und rasiert.
    Ein Glanzstück war Oberst Kabulbekow : Er hatte zur Premiere seine Gala-Uniform angezogen: Breite Schulterstücke, drei goldene Sterne auf den beiden Längsbalken. Mit sieben Lastwagen hatte er ausgewählte Frauen mitgebracht; um allen Komplikationen aus dem Weg zu gehen, bildeten sie einen Sitzblock für sich. Zwischen ihnen und den Sträflingen saßen zwei Reihen Soldaten. »Die Verantwortung liegt bei Ihnen, Belgemir Valentinowitsch «, hatte Rassim sofort zu Kabulbekow gesagt. »Meine Soldaten sind nicht geschlechtslos. Wenn es nachher dunkel wird bei Beginn der Vorstellung und sie ziehen sich die Weiber auf den Schoß, weise ich alle Schuld von mir.« Hinter der Bühne kämpfte Abukow – eine Viertelstunde vor dem Aufgehen des Vorhangs – nach guter alter Theatersitte mit dem Chaos. Bataschew protestierte, weil durch die exotischen Verkleidungen sein Küchenschrank nicht wiederzuerkennen war. Taschbai Aidarow , der Darsteller des Danilo, schillerte grün im Gesicht, klagte über Darmdrücken und schwankte vor Lampenfieber. Der Elektromotor für den Vorhang streikte. Im Orchester schimpfte der Paukist über Sabotage, weil er eine Delle in seinem Benzinfaß entdeckt hatte und die Pauke nun einen anderen Ton von sich gab. Und General Tkatschew weigerte sich, einen Holzsäbel umzuschnallen. Ein General trüge, wennschon, einen Degen und keinen Säbel. Abukow war überall, schlichtete und beruhigte die aufgeregten Gemüter.
    Der Schriftsteller Arikin ,

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