Ein Kuss fur die Unsterblichkeit
treffen«, sagte ich. »Ich hatte es
vorgeschlagen, weil Lucius' Pflock hier aufbewahrt wird, aber du fühlst dich unwohl.
Das war dumm von mir.«
»Nein, mir
geht es gut.« Aber er lief weiter hin und her wie ein Löwe in seinem Käfig.
»Wir
sollten trotzdem woandershin gehen«, bot ich an. Ich sah auf die frisch
geschnitzten Pflöcke, die er auf den Tisch neben Lucius' Waffe gelegt hatte.
Sie war nach seiner Verhaftung wieder hierhergebracht worden. »Wir brauchen
Lucius' Pflock ja auch gar nicht.«
Raniero
blieb stehen und blickte mich an. Dann sagte er etwas ruhiger: »Es tut mir
leid, dass ich so nervös bin. Ich sage dir, du musst tapfer sein – und ich
benehme mich selbst wie eine Memme.« Er holte tief Luft. »Wir sollten
hierbleiben, Antanasia.«
Ich sah ihm
ins Gesicht und versuchte zu beurteilen, ob das
wirklich so eine gute Idee war. Jedes Mal, wenn ich ihm begegnete, war er ein
bisschen weniger der Surfer, als den ich ihn kennengelernt hatte. Seine Haltung
war jetzt immer aufrecht und sein seliges Lächeln war genauso verschwunden wie
die Shorts und Logo-T-Shirts. Er schien Lucius' Kleiderschrank nach Belieben zu
plündern und stand gerade in einer der vielen Levi's meines Mannes vor mir,
dazu trug er ein graues T-Shirt, das gut zu seinen Augen passte, die in
letzter Zeit überhaupt nicht mehr grün waren. Aber wenn ich ihm in die Augen
schaute, sah ich darin nichts mehr, wovor ich Angst hatte. Ich sah zwar einen
Vampir, der genauso mächtig und gefährlich war wie Lucius, aber keinen, der
gleich ausrasten würde. Noch nicht, jedenfalls.
Vielleicht
wagte ich es deswegen, ihn ein kleines bisschen zu provozieren, so wie er es
mit mir getan hatte. Ich ging auf den Glasbehälter zu und sagte: »Raniero,
bevor wir weitermachen, solltest du mir vielleicht erzählen, warum dein Pflock
hier aufbewahrt wird, als wäre er entweder ein kostbares Heiligtum oder eine
ansteckende Krankheit, die isoliert werden muss. Und ich würde auch gerne die
Geschichte von dem Tag hören, an dem du Lucius beinahe vernichtet hättest.«
Da schaute
er schließlich auf den Pflock hinter dem Glas und für einen kurzen Moment
blitzte etwas in seinen Augen auf – aber er bekam es sofort wieder in den
Griff und stimmte mir zu. »Du hast recht, Antanasia. Es ist wahrscheinlich an
der Zeit, dass du die ganze Wahrheit über den Vampir erfährst, der hier in
greifbarer Nähe der Waffe steht, die ihn fast zum nächsten Thronanwärter
gemacht hätte.«
Kapitel 79
Antanasia
Raniero fing nicht gleich an zu erzählen,
sondern schaute eine Weile einfach nur seinen blutbefleckten Pflock an, als
müsse er sich erst wieder an den Anblick gewöhnen.
»Was von
beidem ist es, Raniero?«, drängte ich ihn vorsichtig. »Der Schrein – oder die
Quarantäne?«
»Ich
glaube, es ist beides«, sagte er. »Die Ältesten haben mir meinen Pflock
abgenommen, wie es bei einem blestamata üblich ist, aber es war Lucius'
Entscheidung, ihm einen besonderen Platz zu geben.« Er fuhr mit einem Finger,
auf dem er ein kleines Peace-Tattoo hatte, über das Glas. »Auch wenn ich bisher
gedacht habe, dass ich ihn nie wieder anrühren würde, hat Lucius schon immer geglaubt,
dass er auf mich wartet und anders ist als die anderen hier – nicht nur weil
mit ihm wahrscheinlich viel mehr Vampire vernichtet wurden, als mit jedem
anderen, sondern weil sein Besitzer immer noch am Leben ist. Und es auch noch
sehr viel länger sein wird, wie Lucius denkt.«
Er blickte
auf und ich sah den vertrauten Schmerz in seinem Gesicht. Vladescu-Schmerz.
Seine Augen verrieten etwas über den Aufruhr, in dem er sich innerlich befinden
musste, aber er hatte seine Gefühle unter Kontrolle. »Ich glaube, Lucius
wollte damit auch dem Tag ein Denkmal setzen, an dem er der Vernichtung
am nächsten war.«
Es war
schwer für mich, diese Worte auch nur zu hören, und ich musste mir erst ins
Gedächtnis rufen, dass die Geschichte ja gut ausging. »Was ist damals
passiert?«
Raniero
fuhr sich durch sein langes Haar. Es bereitete ihm augenscheinlich Qualen, die
Geschichte zu erzählen. »Lucius und ich trainierten in den Verliesen ... es war
kurz vor dem Ende unserer Zeit als Kampfpartner und in diesem Wettkampf
schlugen wir uns brutal. Es floss eine Menge Blut, weil wir viel stärker
geworden waren. Wir waren keine Jungen mehr, wir waren Männer.« Er lächelte
schief. »Ich glaube, wir waren schon lange Männer gewesen, ohne es zu wissen.«
Obwohl ich
ja wusste, dass Lucius die Sache
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