Ein Land, das Himmel heißt
ernähren und schreiben, schreiben, schreiben.« Gedankenverloren drehte sie eine glänzend blonde Haarsträhne. Aschblond, aus der Tube, wie Jill wusste. Ein Blusenärmel fiel zurück. Kleine weiße Narben leuchteten auf der tiefen Bräune der Handrücken und Arme. Irmas Haut, in vielen Jahrzehnten von der gnadenlosen afrikanischen Sonne verbrannt, hatte begonnen sich zu rächen. Regelmäßig musste Irmas Arzt verdächtige Hautveränderungen herausschneiden, regelmäßig erwiesen sie sich als bösartig. Zum Schutz trug sie langärmelige, dünne Leinenblusen im Stil eines Kosakenhemdes. »Wie geht es deinem Zukünftigen?«
»Gut, denke ich. Er ist heute in Durban und verhandelt wegen eines Auftrages für ein Haus in La Lucia.« Jill hockte sich auf die Tischkante. Irma liebte es zu schwatzen.
»Läuft nicht so gut, nicht wahr?« Irmas babyblaue Augen blinzelten arglos.
Jill kannte den Trick und ließ sich davon nicht täuschen. Irma war alles andere, nur nicht arglos. Sie kultivierte das Image der lustigen, runden Matrone, die ein wenig verrückt war, ein bisschen fahrig, und beim Sprechen riss sie ihre Augen meist weit auf, was ihrem apfelbäckigen Gesicht einen naiven Ausdruck gab. Es veranlasste ihre Gesprächspartner, jegliche Vorsicht außer Acht zu lassen und freiwillig ihre tiefsten Geheimnisse auszuplaudern. Manch einer von ihnen meinte später, sich als Figur in einem ihrer populären Romane wiedergefunden zu haben. Irma allerdings verneinte das immer vehement. »Warte ab, Martin fängt ja erst an. Er ist gut, er wird sich durchsetzen«, antwortete Jill ihr jetzt kurz.
»Könnte es an seinen überkandidelten Entwürfen liegen, dass es sich so schleppend anlässt?« Irma bestrich ein zweites Brötchen. »Denn wer will sein Haus in der Erde verbuddeln und den Garten auf dem Dach haben? Hat er diese Ideen aus der alten Heimat mitgebracht? Denk bloß mal an das Ungeziefer in diesem Klima. Und die Schlangen. Sollte er mal drüber nachdenken.«
»Davon verstehst du nichts, du bist keine Architektin«, beschied Jill ihrer Tante, die Worte Martins benutzend, als sie ihm genau dasselbe gesagt hatte, »du wirst sehen, bald ist er berühmt, dann werden ihm alle nachlaufen.« Ihr Ton machte klar, dass sie keine weiteren Sticheleien duldete.
»Natürlich, natürlich«, stimmte Irma fröhlich zu und löffelte üppig Honig auf die verbleibende Brötchenhälfte. »Grüße dein Bruderherz von mir, wenn du ihn siehst.«
»Mach ich. Ich werde ihn nachher anrufen, vielleicht können wir uns heute auf einen Kaffee in der Stadt treffen.«
»Charmanter Schlingel, ich bete ihn an«, seufzte Irma und putzte sich lautstark die Nase, »ich hab ihn im letzten Turnier vor acht Wochen in Kapstadt gesehen. Er hat nicht gut gespielt, ist schon in der Vorrunde rausgeflogen – scheint nicht genug zu trainieren, hat weniger Kondition als ich. Irgendwann bricht auch über ihn der Ernst des Lebens herein. Tennisspielen kann er doch nicht ewig. Hat er vielleicht eine neue Freundin, die ihn ablenkt?«
»Keine Ahnung. Außerdem ist er erst sechsundzwanzig und hat mindestens noch vier Jahre als Profispieler vor sich. Du vergisst, dass er auch noch Partner in einer Wirtschaftsprüferkanzlei ist.« Wie brachte es Irma nur fertig, sie immer in die Defensive zu drängen?
»Nun ja, da taucht er aber auch nur sehr selten auf, erzählte mir sein Partner, der, der Ordnung in meine Steuersachen bringt.« Sie kramte in ihrer Tasche herum, brachte ein Tablettenröhrchen zum Vorschein und schüttete zwei Pillen auf ihre Hand. »Nelly, bitte gib mir ein Glas Orangensaft. Ich hab rasende Kopfschmerzen.«
Nelly, die aus dem geschmeidigen Teig kleine Klöße geformt hatte, richtete sich auf, kratzte die klebrige Masse von ihren Händen, wischte sie an der Schürze ab, öffnete den Eisschrank, nahm den Orangensaft heraus, holte ein Glas aus der Anrichte, füllte es, stellte es auf ein kleines Tablett und servierte es Irma. Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
Irma spülte die zwei Tabletten mit dem Saft hinunter und stellte das Glas ab. »Danke, Nelly. Übrigens, wenn dir die Arbeit hier zu viel wird, kommst du einfach zu mir nach Kapstadt und sorgst für mich und meine Katze. Dann vergifte ich mich nicht an Tiefkühlpizzas. Was hältst du davon?«
»Hoho«, lachte Nelly aus dem Bauch, »wer sollte dann für Miss Jill und Madam sorgen?«
»Du darfst auch in meinem nächsten Buch vorkommen«, lockte Irma listig.
Schlagartig wurde Nelly
Weitere Kostenlose Bücher