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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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habe es noch niemandem gesagt.«
    »Ich weiß es«, wiederholte die Zulu und setzte ein überhebliches Gesicht auf.
    Das Teströhrchen trug Jill noch immer in ihrer Handtasche herum. »Hast du in meinen Sachen geschnüffelt?«, platzte sie heraus und bereute es sofort. »Entschuldige, das hab ich nicht so gemeint …«
    »Phhh«, machte Nelly verächtlich und schob die Unterlippe vor, »ich kann es hören, es spricht zu mir. Ich bin eine Zulu, ich habe die Gabe.«
    »Du weißt, dass ich das keinen Moment glaube. Manchmal bringst du mich wirklich auf die Palme«, rief Jill aus und fragte sich zum hundertsten Mal, was hinter der Fassade des dunklen Gesichts vorging. Immer wieder geriet sie an Grenzen, die die Zulu ihr nicht gestattete zu überschreiten. Verstohlen sah sie an sich herunter. Ihr Bauch war flach wie immer. Vielleicht hatte Nelly die Tasche aus Versehen umgestoßen und so das Teströhrchen gefunden. Nelly brachte ihr Zulusein gern ins Spiel, wenn sie aus etwas ein Geheimnis machen wollte. »Am späten Nachmittag bin ich wieder da«, knurrte sie, nahm eine Mango aus der Obstschüssel und schmetterte die Fliegentür ins Schloss.
    Bevor sie losfuhr, lief sie über den gepflasterten Vorplatz zu den Pferdeställen und öffnete die zweiteilige Tür. Schwalben schossen heraus. Sie nisteten in den Dachsparren unter dem hohen Rieddach. Dunstige Wärme, vermischt mit stechendem Uringeruch und strengem Pferdeschweiß, schlug ihr entgegen. Sie nieste. Vor der dritten Box blieb sie stehen, schnalzte leise. Ein helles Wiehern antwortete, und Libertano schob seine weiche Nase unter ihre Hand. Sanft blies sie ihm in die Nüstern. »Na, du Prachtbursche«, wisperte sie in sein aufmerksam aufgestelltes Ohr. Der große Apfelschimmel warf den Kopf hoch und schnaubte. Aufgeregt trat er von einem Bein aufs andere, seine Muskeln zitterten. »Nicht jetzt«, erklärte sie ihm. Sie schnitt die Mango auf, schälte den Kern heraus und hielt ihm die Hälften hin. Mit weichen Lippen nahm er sie herunter, schnupperte eifrig, ob es noch mehr gab. Lachend wehrte sie ihn ab. Rasch wusch sie sich die Hände, die fettig waren vom Pferdeschweiß, in dem Becken, das neben der Stalltür angebracht war. Ihr Geländefahrzeug parkte im Unterstand, der an den Küchentrakt angrenzte. Sie kletterte hinein und fuhr mit aufheulendem Motor über die Auffahrt vom Hof. Trotz der voll aufgedrehten Klimaanlage ließ sie die Fenster herunter und genoss den warmen Fahrtwind, den süßen Fruchtduft, der von den Ananasfeldern herüberwehte. Arbeiterinnen in langen Röcken schnitten die goldgelben Früchte mit den stacheligen Blätterkronen ab und warfen sie mit Schwung in die Körbe, die sie auf den Rücken geschnallt trugen. War ein Korb voll, wurde er auf den Anhänger von Bens Trecker geleert. Abends stapelte Ben die Früchte in den luftigen Lagerhallen bei den Feldern. Frühmorgens fuhr er sie zum Markt.
    »Guten Morgen«, grüßte sie zu ihnen hinüber.
    Die Frauen richteten sich auf. »Guten Morgen, Madam«, riefen sie. Ihre Gesichter leuchteten maskenhaft in einer seltsamen gelbbraunen Farbe. Es war ihr Sonnenschutz, so hatten sie es ihr erklärt. In einer Blechschüssel mischten sie die rote Erde mit Kaolin und Wasser zu einer steifen Paste, die sie sich ins Gesicht strichen, wo sie bald zu einer schützenden Kruste trocknete.
    Die Sonne stieg und heizte den Wagen auf. Jill regulierte die Klimaanlage so, dass sie ihr ins Gesicht blies, und schloss die Fenster. Mit einer Hand wickelte sie ihr Brötchen aus und biss hinein. Langsam ebbte ihre Irritation über Nelly ab.

2
    D ie saftig grüne, tropisch anmutende Vegetation am Krokodilfluss wechselte schon auf der nächsten Anhöhe in Dornendickicht mit gelben Grasflecken. Einzelne Aloen blühten, verstreut wuchsen niedrige Palmen. Das Land war von sanften Hügeln durchzogen, die sich mit weichen Tälern abwechselten. Eine ruhige, leer wirkende Landschaft. Hier war sie zu Hause.
    Automatisch schaute sie nach der nächsten Kurve hinüber zu Mamas Lieblingsplatz, konnte aber im Schatten der Süßdornakazie, die einen gelben Mimosenblütenschleier trug, nichts erkennen. Sie wuchs auf der felsigen Plattform einer Anhöhe, die aussah wie ein Ei, das man geköpft hatte. Dort, unter dem vom kargen Boden verkrüppelten Baum, der aber doch dicht genug war, um sonnengefleckten Schatten zu spenden, saß Mama oft auf ihrem Korbstuhl, spielte stundenlang ihre Querflöte, zeichnete oder erledigte ihre Korrespondenz. Als

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