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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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aufgenommen. Erst viel später hatte sie davon erfahren, hatte lange gebraucht, die Wut und Enttäuschung zu verarbeiten und die Schulden zu tilgen.
    Sie berührte den kühlen Stein mit den Lippen. Außer ihm besaß sie kaum noch Schmuck. In den letzten Monaten hatte sie fast alles verkauft, um die Löhne und laufenden Kosten des großen Farmbetriebs zahlen zu können. Sie war kurz davor, Irma um Geld zu bitten. Nur die Tatsache, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ein solches Darlehen jemals zurückzahlen sollte, hielt sie noch davon ab. In dem Jahr nach Martins Tod war der Verfall allmählich immer deutlicher geworden, der schon zu Zeiten ihres Vaters erschreckend weit fortgeschritten war. Der Ring war das Einzige, was sie noch zu Geld machen könnte. Martins Verlobungsring. Sie zog ihn ab, wog ihn in der Hand. Eine blank geriebene, ringförmige Vertiefung, weiß gegen ihre braune Haut, markierte die Stelle, wo er seit sieben Jahren ihren Finger umschloss. Der Ring rollte auf ihrer Handfläche hin und her, der Stein funkelte und blitzte, als wäre er lebendig. Das gesamte Dach würde sie mit dem Erlös renovieren können, sogar für neue Fenster würde es reichen. Oder für einen weiteren Gästebungalow. Nach kurzem Zögern steckte sie ihn mit einer raschen Drehung wieder an. Er war ihre eiserne Reserve, wenn es keinen anderen Ausweg gab.
    Die Sonne stieg hinter den Hügeln hervor in den kristallblauen Dezemberhimmel, die Strahlen stachen ihr in den Augen, Tränen prickelten unter ihren Lidern. Mit dem Handrücken wischte sie sie weg, wusste, dass sie nicht nur von den blendenden Lichtblitzen herrührten. Sie wandte sich vom Fenster ab, ging durchs Zimmer in ihr Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Fast eine halbe Stunde stand sie unter dem lauen Strahl. Beide Arme ausgestreckt an die Fliesenwand gestemmt, den Kopf gesenkt, versuchte sie ihren eigenen Gedanken zu entfliehen, stellte sich vor, dass alles, was sie quälte, aus ihr herausfloss, mit dem Wasser in den Abfluss strudelte und nur eine gnädige Leere blieb. Durch den strömenden Wasservorhang starrte sie auf das gleißende Rechteck des Badezimmerfensters, sah jedoch den leuchtenden Hochsommermorgen nicht, sondern nur den Tag, an dem das Licht starb.
    *
    Martin war in die Nacht galoppiert. Sie hatte ihre Verzweiflung und Reue hinter ihm hergeschrien, aber er reagierte nicht. Unfähig sich zu rühren, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, einfach unfähig, sich dieser Situation zu stellen und folgerichtig zu handeln, saß sie danach allein in ihrem Schlafzimmer, ohne Licht, dem Fenster den Rücken zugekehrt, in dumpfer Erwartung des Unausweichlichen, wie eine zum Tode Verurteilte, die auf das Kitzeln des Fallbeils in ihrem Nacken wartet. Ihr Herzschlag zählte die Sekunden, es wurden Minuten daraus und dann Stunden, aber es passierte nichts. Niemand hämmerte an die Tür und überbrachte ihr eine Hiobsbotschaft, niemand kam. So saß sie noch, als draußen die kurze Morgendämmerung rasch in die Schwüle des Januartages überging.
    Der Tag begann, wie kein Tag zuvor auf Inqaba. Kein Traktorgeräusch, kein kehliges Zulu der Ananaspflückerinnen, auch Nellys laute Stimme fehlte, nur das schrille Kreischen eines aufgescheuchten Vogelschwarms störte die Stille. Gegen acht Uhr schleppte sie sich hinüber in die Küche. Sie war leer. Verwirrt rief sie nach Dabulamanzi-John, der um diese Zeit im Garten sein musste. Vergeblich. »Ben«, schrie sie, »Nelly, Dabu, wo seid ihr?«
    Aber nur das Echo ihrer eigenen Stimme antwortete ihr.
    Ein Pferd schnaubte. Sie fuhr hoch. Martin? War er zurückgekehrt? Rufend rannte sie zum Stall, riss die Stalltür auf. Aber es stand nur Martini, der alte kastanienbraune Hengst ihres Vaters, in seiner Box. Die anderen Boxen waren leer. Libertano, ihr Apfelschimmel, fehlte. Die anderen vier Pferde, die früher hier standen, hatte noch ihr Vater verkauft. Sie lehnte ihren Kopf an den warmen Pferdehals, atmete den strengen Geruch seines Fells, war für Sekunden wieder in ihrer Kindheit, in die dieser Geruch gehörte, fand für kurze Augenblicke Entspannung. Dann sattelte sie den Hengst, führte ihn nach draußen und schwang sich hinauf. Unsicher sah sie sich um. Wo sollte sie suchen? Im Norden, im Osten, am Wasserloch? Entmutigt ließ sie die Zügel schleifen. Allein nach Martin zu suchen war Wahnsinn. Rasch glitt sie wieder aus dem Sattel, schlang die Zügelenden um den Eisenring, der neben der Stalltür angebracht war,

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