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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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und lief ins Haus.
    Sie rief Angelica an. »Ist Martin bei euch?«
    Das Gleiche fragte sie Lina, Jake und andere. Jedes Mal war die Antwort dieselbe. »Nein, er ist nicht hier, was ist passiert?«
    »Wir kommen«, sagte Angelica, »ruf du Leon an. Es ist egal, ob du ihn leiden kannst oder nicht, wir brauchen ihn jetzt. Ihn, diesen grässlichen Ein-Arm-Len und dessen Leute. Sie können mit ihren Pferden dorthin gelangen, wo kein Auto mehr fahren kann.«
    Sie suchten den ganzen Tag und im Licht der Scheinwerfer der Geländewagen und starken Taschenlampen auch die Nacht durch. Leon fand seinen Bruder am folgenden Abend. Er musste noch gelebt haben, nachdem Libertano gescheut und ihn fünf Meter über den Abhang ins felsige Flussbett geworfen hatte. Martins Rückgrat war gebrochen, die Obduktion ergab, dass zwei seiner ebenfalls gebrochenen Rippen seine Lunge durchbohrt hatten. Er war in seinem Blut ertrunken.
    Als Leon und Ein-Arm-Len mit zwei weiteren Männern ihn auf einer provisorischen Trage brachten, rannte sie ihnen entgegen, wollte die Decke wegreißen, mit der sie ihn verhüllt hatten, wollte ihn sehen, fühlen, wollte ihm sagen, dass nichts außer ihm ihr wichtig war, dass sie alle anderen Probleme gemeinsam meistern würden. Aber Alastair, der kurz die Decke zurückgeschlagen hatte und bleich geworden war, hielt ihre Hände fest. »Nicht, Jill, nicht. Er ist tot. Sieh ihn dir nicht an, behalt ihn in Erinnerung, wie er war …«
    Doch mit der Kraft der Verzweiflung und der Liebe riss sie sich los, war mit einem Schritt neben der Trage, zog die Decke herunter und blickte ihrem Mann ins Gesicht.
    Sie war weder in Ohnmacht gefallen, noch hatte sie geschrien, das erinnerte sie noch, aber dann riss der Erinnerungsfaden, und die nächsten zwei Tage waren ein leeres schwarzes Loch. Genaues wusste sie nicht mehr. Irgendwo hatte sie gelesen, dass eine nur sieben Meter hohe Welle mit der Wucht von dreißig heruntersausenden Tonnen auf ein Hindernis aufprallte. So fühlte sie sich, als hätte eine solche Welle alle Lebenskraft aus ihr herausgeprügelt.
    Angelica war ständig um sie herum, Lina meistens auch, und auch Nelly war wieder da. Sie brachte frisch gebackene Brötchen mit Honig und Orangensaft. Einen Augenblick blieb sie neben ihr stehen, die warmen Hände mit den zarten Innenflächen strichen ihr über den Arm. »Wir werden warten, bis es dir besser geht, Jilly, dann reden wir«, sagte sie.
    Jill lehnte sich an den großen, weichen Körper, roch den Geruch ihrer Kindheit, ihrer Zuflucht, ihrer Sorglosigkeit, war dankbar, dass Nelly bei ihr war. An diesem Tag starb das Kind in ihr. An diesem Tag musste sie sich dem Leben stellen, ohne den Schutz, den ihr früher Mama, Daddy, Nelly, später dann Martin gegeben hatten. Wie unter einem Schirm hatte sie gelebt, der jedes Unwetter von ihr fern gehalten hatte. Nun war sie allen Elementen allein ausgeliefert.
    Als es ihr besser ging, redeten sie. Sie, Nelly, Ben, Dabulamanzi-John. Vorher hatte sie mit Angelica und Alastair gesprochen. Davor hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und sich Überblick über ihre finanzielle Lage verschafft. Es war relativ einfach. Alles Geld, das sie besaß, würde für die täglichen Unkosten noch etwa eine Woche reichen. Eine einzige Woche.
    »Danach bin ich pleite«, sagte sie zu den Farringtons und den Konnings, »ich meine richtig absolut, restlos pleite! Pleite, wie nichts zu essen, pleite, wie Inqaba verlieren, pleite, wie auf der Straße stehen und aus Mülltonnen essen. So eine Art pleite.«
    Der Schock bleichte alle Farbe aus Angelicas Gesicht. »Wie konnte das passieren?«
    Sie erklärte die Sache mit der Vollmacht und dass sie sich um nichts gekümmert hatte. »Ich hab ja kaum gemerkt, was um mich herum vorging.« Nachdenklich kaute sie an den Nägeln. »Es war wohl einfach zu viel für Martin.«
    »Du gibst dir die Schuld?«, fragte Lina, die bisher nur stumm zugehört hatte. »Hör auf damit. Er hätte mit dir reden müssen.«
    »Ich kann es dann leichter ertragen, ich muss nicht nur auf ihn wütend sein … Ich habe ihn so geliebt, ich will mich nicht nur immer durch den Filter meiner Wut und Enttäuschung an ihn erinnern …«
    Am vierten Tag kam Irma an, und an diesem Abend konnten die Freunde zum ersten Mal alle in ihre eigenen Häuser zurückkehren. »Die Kinder haben unsere Abwesenheit sicherlich weidlich ausgenutzt«, lächelte Angelica, »ich muss erst einmal wieder Ordnung in den Haufen bringen. Nächste Woche

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