Ein Land, das Himmel heißt
Martins. Und bösartiger. Sie sah Leons Augen vor sich, die seltsam undurchsichtig waren, flach, als läge ein Schleier über dem Eisgrau, der seinen Blick ausdruckslos machte. Nach seinem letzten Auftritt hier hatte sie gelernt, diesen leeren Blick zu fürchten. Mit Macht verbannte sie sein Bild und dachte an Erfreulicheres, wie ihr Verhältnis zu den Farmarbeitern. Das Erstaunliche war, überlegte sie, als sie endlich aus der Dusche stieg und sich in ihr Handtuch hüllte, dass sie heute als Person wahrgenommen wurde. Es bestand keine Frage mehr, wer der Ansprechpartner der Zulus war und wer der Chef von Inqaba. Nachdem sie an jenem Tag mit Alastair den Weg vom Dorf zum Haus erklommen hatte, hatte sie sich noch einmal umgedreht.
Auf dem Platz unter dem Indaba-Baum herrschte ausgelassene Freude. Dabulamanzi-John sprang einen Handstandüberstand nach dem anderen, wirbelte wie ein rasendes Rad über den Platz. Die anderen Männer bildeten einen Kreis um ihn zum Tanz, und bis in die späte Nacht hörte sie ihre Freudengesänge, das Stampfen, den kraftvollen Puls der Trommeln, der in der stillen Luft zu ihr hinaufgetragen wurde. Sie sind die Seele unseres Landes, hatte sie gedacht, Inqabas Seele, und erinnerte sich heute noch, wie gut sie sich dabei gefühlt hatte.
Die Monate, die dann folgten, waren eine rasante Schussfahrt steil in ein schwarzes Tal gewesen. Rechnung auf Rechnung kam ins Haus, fast alle auf Martins Namen. Und sie zahlte, verkaufte alles, was sie entbehren konnte. Jede Rechnung war wie ein Beben, das ihre Erinnerung an Martin erschütterte.
Sie ließ das Handtuch fallen und stellte den Föhn an. Er röchelte asthmatisch vor sich hin, gab nur noch kalte Luft von sich. Seufzend legte sie ihn weg und frottierte ihre kurzen Haare leidlich trocken. Kritisch betrachtete sie ihre Frisur im Spiegel, nahm kurz entschlossen eine Schere, schnippelte hier und da, wo sich Wildwuchs zeigte, plusterte dann ihre Haare unzufrieden auf. Sie versprach sich, von den ersten Einnahmen das Geld für einen Friseurbesuch abzuzweigen und einen neuen Föhn zu kaufen. Doch schon jetzt wusste sie, dass sie dieses Versprechen nicht halten würde. Es gab so viele Dinge, die viel wichtiger waren. Ungeduldig zerrte sie ein dunkelblaues T-Shirt und Jeans aus dem Schrank. Die Hosen waren ihr ziemlich weit geworden, eine ganze Größe kleiner würde ihr jetzt passen, ein Nebeneffekt des letzten Jahres, der einzig positive. Sie stieg in ein Hosenbein. Ein hässliches Geräusch, und der zerschlissene Stoff gab über ihrem Knie nach und riss auf. Sie fluchte und fügte Jeans zu ihrer Wunschliste dazu.
Ein knappes Jahr war seit Martins Tod vergangen, ein Jahr, in dem sie sich nichts außer ihrem täglichen Brot leisten konnte, und das war karg genug. Jeden Pfennig steckte sie in ihren Vogelgarten, den Bau der Gästehäuser und die dringend notwendigen Reparaturen am Haus. Aus dem Bungalow, in dem sie und Martin gelebt hatten, war sie ausgezogen. Die Entscheidung fiel ihr leicht, denn in jedem Winkel, jedem Schatten glaubte sie Martin zu sehen, und wenn die Nacht kam, geisterten die Schatten durch ihre wirren Träume. Sie bewohnte nun die Zimmer ihrer Eltern, Schlafzimmer mit Ankleideraum und einem Badezimmer und ein kleines Wohnzimmer. Der ganze Trakt war durch eine schmiedeeiserne Sicherheitstür vom Rest des Hauses getrennt. Den Bungalow hatte sie in eine weitere Gästeunterkunft verwandelt. Das Arbeitszimmer ihres Vaters benutzte sie als ihr eigenes Büro, das sie dringend brauchte, denn die ersten Reservierungen für die Eröffnung im Februar waren bereits eingegangen.
Die Abende, die sie dort verbrachte, um lange Zahlenkolonnen, die wie eine kriegerische Armee vor ihren Augen über das Papier marschierten, in eine Formation zu rechnen, die ihr sagen würde, dass sie es irgendwie doch schaffen könnte, waren von einer Einsamkeit geprägt, die nichts mit Alleinsein zu tun hatte. Allein ist man, wenn keine andere Person anwesend ist. Aber sie war einsam, meinte niemanden mit ihren Problemen belästigen zu können, fühlte sich, als kämpfte sie in einem luftleeren Raum gegen das Ersticken. Das Schlüsselwort war Geld. Damit wäre sie von ihrer Einsamkeit erlöst, könnte unbefangen mit ihren Freunden umgehen, wahrheitsgemäß auf die Fragen nach ihrem Wohlergehen antworten.
Kamen jedoch Angelica oder Lina oder Tita und Neil, beobachtete sie, wie die Blicke von einem verrotteten Fensterrahmen zur abgeblätterten Farbe, verrosteten
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