Ein Land, das Himmel heißt
Gittern wanderten, sah, wie besorgt sie waren, hörte die immer wiederkehrende, nur aus tiefster Freundschaft gestellte und doch ihre Nerven zermürbende Frage: »Wie geht es dir, Jill, brauchst du etwas, sollen wir dir helfen?«
»Oh, danke, gut geht’s mir, ich schaffe das schon, kein Grund, die Rettungstrupps zu schicken.« Das oder Ähnliches antwortete sie dann, lächelte, wenn sie viel lieber gerufen hätte: »Nein, mir geht’s nicht gut, ich brauche eure Hilfe, mir wächst alles über den Kopf, ich schaffe es nicht ohne euch!« Doch sie meinte, ihre Freunde, die gemeinsam das Netz gespannt hatten, das sie bisher vor dem Abstürzen, auch dem seelischen, bewahrt hatte, nicht so sehr enttäuschen zu dürfen, noch konnte sie Irma um Geld bitten, obwohl auch die es gerne gegeben hätte. Nein, das würde sie nicht fertig bringen. Schon ihr Stolz verbot das. So saß sie über den Zahlen, bis sie wie aufgescheuchte Ameisen herumwimmelten und ihr Kopf bald platzte. Abends aß sie, was vom Tag übrig war, und manchmal waren es nur Kartoffeln, die sie kalt, vor dem offenen Kühlschrank stehend, aus der Hand verschlang. War ja egal, es war einfach etwas, das ihren hungrigen Magen füllte.
Als wäre sie ein losgetretener Stein, rollte sie den Steilhang hinunter, immer schneller, immer größer wurden die Sprünge, und bei jedem Aufschlag verletzte sie sich stärker, und eines Tages schlug sie auf den Boden des Abgrunds auf.
Es passierte auf der Heimfahrt von der Bank. Der Filialleiter hatte sie hinzitiert, sie, Jill von Bernitt, geborene Steinach von Inqaba. Er ließ sie eineinhalb Stunden warten. Es war der erniedriegendste Moment ihres Lebens, als Mr. Osman sich gemütlich in seinem Drehstuhl zurücklehnte, die Fingerspitzen seiner schönen Hände aneinander legte und sie betrachtete.
»Madam«, sagte er, »Sie haben kein Geld mehr.« Er lächelte.
Das war ihr nicht unbedingt neu. Sie schwieg.
»Gar keins«, sagte er. »Wie gedenken Sie, Ihre Schulden zu zahlen? Die erste Rate beträgt zehntausend Rand.« Wieder lächelte er. Er hatte gelbe Zähne.
Früher hatte in diesem Stuhl Mr. Packard gesessen, der nette, weißhaarige Mr. Packard, der mit ihrem Vater im Internat gewesen war, der keinen ihrer Geburtstage vergaß. Eineinhalb Jahre nach der ersten Wahl war ihm gekündigt worden, und Mr. Osman war an seine Stelle getreten. Er kam aus einer reichen Gewürzhändler-Dynastie und hatte die unangenehme Angewohnheit, immer zu lächeln. Es erweckte in ihr archaische Impulse. »Ich werde sie zahlen«, antwortete sie, »ich gebe Ihnen mein Wort.« Er roch nach Curry, immer.
»Ich will nicht Ihr Wort, ich will Sicherheiten«, lächelte Mr. Osman fröhlich und tippte die Spitzen seiner schlanken Finger aneinander. »Inqaba ist eine bedeutende Farm.« Er streichelte seinen Bart. Vor ihm stand ein Bild einer Frau in golddurchwirktem Sari. Jill kannte sie. Es war Mrs. Osman, eine zickige Schönheit, die zu viel Schmuck trug.
»Willkommen im Club«, sagte sie. Leon, Len, Popi und nun Mr. Osman. Wie ein Schwarm hungriger Haie umkreisten sie ihr Land. »Ich brauche noch zweitausend Rand für Pflanzen – besonders für Nektarpflanzen, ehe ich mit Inqaba als ›Garten der Vögel‹ Geld verdienen kann. Ich plane ein ganzes Gebiet nur für Nektarvögel. Sie sind eine große Attraktion. Sie werden viel Geld bringen.« Hoffentlich. Heimlich kreuzte sie ihre Finger. »Ich muss sie haben.«
Diesmal lachte Mr. Osman laut. »Zwei Wochen«, sagte er, »der 22. August, danach ist Schluss. Zehntausend, oder wir übernehmen Inqaba.«
Sie knallte die Tür zu seinem Büro so heftig zu, dass die Fenster im Schalterraum klirrten, warf sich ins Auto und jagte blindlings los, irgendwohin, landeinwärts. Vor einem ländlichen Einkaufszentrum fand sie sich wieder, parkte unter einem Schattenbaum, schaltete den Motor aus und öffnete die Tür. Sie schwitzte, obwohl es kühl war. Es roch säuerlich. Sie hatte Angst.
Sollte dieser unsägliche Mr. Osman mit einem Federstreich alles zunichte machen, wofür sie gekämpft hatte? So kurz vor dem Ziel? Viele Bäume und Büsche bekam sie über Max Clarke aus privater Anzucht. Billig, hieß das. Das Ganze hatte sie bisher eine Schleimbeutelentzündung in der rechten Schulter und ein paar Muskelzerrungen gekostet. An der Seite von Dabulamanzi und Musa, seinem Sohn, hatte sie Pflanzlöcher ausgehoben, Felsbrocken herumgewuchtet und bis zu den Hüften im Wasserloch gestanden, um Pflanzen im
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