Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
dichten Laub einer Schlingpflanze das ovale Nest zeigte, aus dem das zarte Zirpen von Jungvögeln drang. Eines der Weibchen schlüpfte hinein, lugte kurz darauf unter dem geschickt gebauten kleinen Regendach des Nests wieder hervor.
    »Werde ich Ihre Freundin morgen bei der Einweihung kennen lernen?« Nils Rogges Frage klang harmlos, aber Jill war sicher, dass sie das nicht war.
    Seine Hartnäckigkeit war wirklich bemerkenswert. »Vermutlich«, wich sie aus, wollte nicht lügen, nicht bei einem Journalisten, der dadurch nur noch neugieriger wurde. Rasch folgte sie Philani ins Dämmerlicht eines baumbewachsenen Gebiets. Kurz darauf sah sie den unverwechselbaren, smaragdgrünen Farbblitz, als ein männlicher Smaragd-Kuckuck aus den dichten Baumkronen davonflog. Sein Weibchen, bronzegrün schimmernd, folgte ihm. Als sie nach über einer Stunde umkehrten, war Jill zufrieden. Krusens schienen begeistert zu sein, und darauf kam es ihr an. Die beiden Journalisten hatten kaum gefilmt oder fotografiert, aber beobachteten alles genau, die Landschaft, die Tiere und vor allen Dingen die Menschen. Nils Rogges Interesse schien besonders ihr zu gelten. Sie kam sich wie von ihm ausgezogen vor, fühlte sich bedrängt durch seine Neugier, seine Wissbegierde, durch diese Augen, denen nichts zu entgehen schien. Getreu dem Klischee des Jagdhundes, der eine Fährte aufgenommen hatte.
    Irma ging allein, hatte jenen Ausdruck völliger Leere im Gesicht, der Jill signalisierte, dass sie sich auf der Jagd nach der Geschichte für ihr nächstes Buch in sich zurückgezogen hatte. Dann nahm sie kaum etwas von ihrer Umwelt wahr, war völlig unbrauchbar für das tägliche Leben. Nur das jetzt nicht, dachte sie alarmiert und zupfte Irma am Ärmel. Krusens und die Journalisten gingen an ihnen vorbei, folgten Philani und waren kurz darauf ihrem Blick entzogen.
    »Ja?«, antwortete Irma, ihr Blick verwirrt, als befände sie sich in einem anderen Jahrhundert.
    Jill kam der Gedanke, dass es vermutlich genauso war. »Wo warst du denn?«, lächelte sie.
    »Mir geht der Brief Catherines nicht aus dem Kopf, irgendetwas steckt dahinter, da bin ich mir sicher. Dem Geheimnis werde ich schon auf die Spur kommen!« Irmas Augen glitzerten. »Ich werde mir den Dachboden vornehmen – ich kann mich da an etwas erinnern …«
    »Wenn du heute und morgen nicht nur körperlich bei mir bleibst, helfe ich dir übermorgen, den Dachboden auf den Kopf zu stellen, ich versprech’s dir!«
    »Ja, natürlich«, sagte ihre Tante, konnte aber nicht verbergen, wie sehr sie diese Unterbrechung ihres Tatendrangs hasste. »Wann rückt die Meute morgen an?«
    »Um vier Uhr nachmittags. Könntest du die Blumenarrangements übernehmen? Ich muss mich ums Essen und die Getränke kümmern. Außerdem haben wir heute Abend spätestens das Haus voll!« Sie legte ihre Arme um Irma. »Halt mich fest, Irma, ich weiß nicht, ob ich mein neues Leben allein meistern kann … es ist so viel …« Ein Kloß verschloss ihren Hals, sie konnte erst nicht weitersprechen, doch dann brach es aus ihr heraus. »Ich vermisse sie alle so sehr, weißt du, Mama, Tommy, Martin, Daddy – er ist nur zehn Stunden Flug entfernt, ich verstehe ihn nicht, warum meldet er sich nicht einmal auf meine Briefe? Ich habe Mama doch auch verloren … es tut so weh …« Sie schluckte hart, wollte nicht vor den Reportern in Tränen ausbrechen.
    Abends waren die meisten Übernachtungsgäste eingetroffen. Die Journalisten, Krusens, zwei befreundete Paare aus Kapstadt und ein weiteres Paar aus Deutschland. Peter Kent, einer der Kapstädter, wurde von seiner Frau im Rollstuhl auf die Terrasse gerollt. Dunkle Schatten verdüsterten seine Augen, eine tiefe Narbe, die sich bis unter die kurzen Haare zog, verunstaltete seine rechte Gesichtshälfte. Messerstiche, dachte Jill, mehrere. Der arme Kerl. Sie musterte ihn. Er war braun gebrannt, machte einen sportlichen Eindruck. Das Unglück, das ihn in den Rollstuhl gebracht hatte, konnte noch nicht lange zurückliegen. »Ich bin Jill«, stellte sie sich vor, »willkommen auf Inqaba. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    Der Mann im Rollstuhl lächelte zu ihr hinauf, ein sympathisches Lächeln, aber seine grauen Augen wirkten müde. »Danke, aber Joyce, meine Frau«, er machte eine erklärende Handbewegung, »kann das am besten. Wir sind ein eingespieltes Team.« Joyce, eine Frau Mitte vierzig, nickte und schob ihren Mann an den Tisch. Sie war eine typische weiße

Weitere Kostenlose Bücher