Ein Land, das Himmel heißt
letztes Mal, bleibst du im Morast stecken.«
In diesem Moment krachte ein einzelner Donnerschlag, dessen hallendes Echo vielfach von den umliegenden Hügeln zurückgeworfen wurde. Ihre Mutter fuhr zusammen, verlor schlagartig an Farbe. Hastig packte sie ihren Schreibblock ein, hob die Falten ihres Kaftans und eilte zu dem Wagen, der im Schatten eines Dornbuschs ein paar Meter weiter parkte. Sie lehnte aus dem offenen Wagenfenster, die Brillantfedern des Pfaus schossen farbige Blitze im gewittergrellen Sonnenschein. »Komm sofort zu mir, wenn du zurück bist, Schatz. Ich werde jetzt zusehen, dass ich schnell nach Hause komme. Ich hasse Gewitter.« Damit drehte sie den Zündschlüssel, und Momente später zeugte nur noch ein Staubwirbel von ihr, der in dem plötzlich aufkommenden starken Wind schnell verflog.
Auch Jill fuhr zusammen. Es schien ein ungewöhnlich heftiges Gewitter zu werden. Sie sah ihrer Mutter nach. Mama hatte vor so vielen Dingen Angst. Gewitter, Flugzeuge, Schlangen, Höhen, tiefes Wasser, Menschenmengen, alles jagte ihr Furcht ein. Nur im Schutz Phillips, ihres Mannes, schien sie das Leben außerhalb Inqabas ertragen zu können. Nachdenklich stieg Jill ins Auto. Es war schon spät. Sie trat den Gashebel durch und ließ das Gewitter hinter sich.
Vom Parkplatz des Sharksboard rannte sie hastig durch die Glastüren in das von meterhohen, mit Rollen von Stacheldraht gekrönten Zäunen umgebene Gebäude und öffnete die Tür zum Sezierraum. Beißender Geruch nach Verwesung und Formalin schlug ihr entgegen, sie musste husten, atmete danach nur noch ganz flach. Es waren ungewöhnlich viele Zuschauer da, stellte sie fest, offenbar eine Touristengruppe aus dem Ausland. Kameras klickten, zwei Kleinkinder jagten quietschend zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch, und eine weibliche Stimme quengelte, dass ihr kotzübel sei, sie so etwas Ekliges nicht sehen wolle.
Der Film, der vor dem Sezieren eines Hais stets gezeigt wurde, war schon vorbei, und ein älterer Schwarzer in blauem Kittel war eben dabei, die Leber des großen Fisches mit dem hammerförmigen Kopf, der auf einem überdimensionalen, metallenen Seziertisch lag, herauszuschneiden. Der Pathologe, ein ausgemergelter, grauhaariger Mann im weißen Kittel, der etwas unangenehm Kadaverähnliches an sich hatte, stand neben ihm, deutete mit einem Stock auf die verschiedenen Organe und dozierte.
Jill grüßte ihn mit einem Kopfnicken und begann zu fotografieren. Im Hintergrund hörte man dramatische Würgegeräusche, eine genervte männliche Stimme, und dann klappte eine Tür. Die Quengelige hatte offenbar ihren Willen bekommen. Der Schwarze schlitzte weiter durch die schrumpelige, gelblich bräunliche Haut des Hais, hob den Magen heraus und schnitt ihn auf. Der Inhalt ergoss sich als stinkender Schwall über seine Gummihandschuhe. Der faulige Gestank nach altem Tran, der von dem toten Tier aufstieg, das zwei Jahre in der Tiefkühltruhe gelegen hatte, vereinte sich mit dem stechenden des Formalins zu einer so bestialischen Mischung, dass sie nur noch würgend und nach Atem ringend ihre Arbeit machen konnte und der Quengeligen von Herzen Recht gab. Es war außerordentlich eklig. Mit zusammengepressten Lippen versuchte sie, die Luft anzuhalten, bis sie zu Ende fotografiert hatte, aber schaffte es nicht. Sie musste an Nellys Warnung denken.
»Lass das«, wies der Pathologe einen kleinen Jungen streng an, der vorwitzig den Fischkadaver berühren wollte, »die Magensäure des Hais ist so stark, sie würde deine Hand glatt auflösen.« Der Kleine wurde käsig. Der Doktor schob den Mageninhalt auseinander. »Vor ein paar Jahren fanden wir zwei menschliche Schädel und ein paar Knochen in einem riesigen weißen Hai«, bemerkte er und schoss dabei den erschauernden Zuschauern einen vergnügten Blick über seine verschmierte Brille zu.
Jill, die sich an den Vorfall, der Schlagzeilen in der Zeitung gemacht hatte, sehr gut erinnerte, verkniff sich die Frage, ob und vor allen Dingen wo die Schädel inzwischen beerdigt worden waren. Da man nicht wusste, hieß es damals in dem Artikel, ob es Schädel von schwarzen oder weißen Menschen waren, sah man sich nicht im Stande, sie zu beerdigen. Das war ein wirkliches Problem, denn schließlich durften in Südafrika Schwarze nicht auf demselben Friedhof wie Weiße begraben werden. So lautete das Gesetz. Auf der Universität hatte die Zeitungsmeldung zu nächtelangen, hitzigen Diskussionen geführt und die
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