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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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kleines Kind hatte Jill neben ihr unter der Akazie gehockt, ganz still, und zugehört und zugesehen. Mamas zartgliedrige Finger tanzten über die Flötenklappen, die Ärmel ihres herrlich gefärbten Kaftans, einer von vielen, die sie fast ausschließlich trug, bauschten sich mit jeder Bewegung. In Jills Fantasie wurden die Ärmel zu den Flügeln eines bunt schillernden Paradiesfalters, der vor ihr auf und nieder tanzte.
    Jetzt schaute sie genauer hin und bremste hart. Mama war dort, sie hielt einen Block auf den Knien und schrieb. Die Strahlen der frühen Sonne spielten auf ihrem türkisblauen Kaftan. Der Falter schillerte und flatterte, ein glühender, lebendiger Farbfleck in dieser sonnenverbrannten, ockerfarbenen Landschaft. Jill bog in den zerfurchten, selten benutzten Weg ein, der zu der Plattform führte.
    Ihre Mutter hatte sie bereits entdeckt, legte den Schreibblock beiseite und erhob sich. Als sie ihr entgegenging, wunderte sich Jill zum wiederholten Male, wie ihre Mutter es schaffte, noch immer zu wirken, als wäre sie ihre ältere Schwester. Zierlich, glatte, gebräunte Haut, glänzend schwarze Haare, strahlendes Lachen. An ihrem Hals funkelte der Anhänger, den sie getragen hatte, so lange Jill denken konnte. Er war außergewöhnlich. Ein Pfau aus Goldfiligran und schimmerndem Email, der Körper ein blauer Opal mit blutroten Lichtreflexen, auf jeder Feder sprühte ein Diamant. »Juliane, mein Schatz, was machst du hier so früh?«
    Sie lächelte. Mama war die Einzige, die sie bei ihrem Taufnamen nannte. Als sie getauft wurde, meinte ihr Vater, dass Juliane zu viel für so ein kleines Mädchen sei und rief sie fortan Jill, die Abkürzung von Gillian, und das wiederum war die englische Form von Juliane. »Guten Morgen, und was machst du so früh?« Sie umarmte ihre Mutter, die fast einen Kopf kleiner war als sie. Maiglöckchenduft stieg ihr in die Nase, das Parfum, das sie so an ihr liebte, denn Mama war wie ihr Duft, leicht und flüchtig, von heiterer Kindlichkeit, unbeschwert. Was ihr nicht gefiel, sah sie nicht. Maiglöckchen, Frühling, Liebe, alles was zart und hell war, das war ihre Mutter für sie, ein kapriziöses Frühlingswesen, ewig jung, das anmutig durch ihr Leben schwebte und jeden, der sie kennen lernte, verzauberte. Sie malte, spielte Querflöte, hegte ihren Garten wie ihre Kinder, veranstaltete wunderschöne Feste, erfüllte die Tage der Familie mit Licht. Ihre Mutter, ihre Freundin. Natürlich keine Freundin wie Angelica, die ihr vertraut war, als wären sie aus einem Ei geboren. Angelica Farrington stand fest auf dem Boden der Wirklichkeit, auf großen Füßen, bedachte man ihre Schuhgröße, und sah die Dinge so, wie sie waren.
    Mama hatte noch nie für Entgelt gearbeitet, war frei von dem Druck, Erfolg zu haben. Ihr einziges Projekt, das sie außerhalb ihrer Familie verfolgte, war ihr Anliegen, dass die Kinder der Farmarbeiter eine Schulausbildung bekamen. Rund fünfzig Zulus lebten in mehreren Familien auf Inqaba. Sie hatte ein Schulhaus mit zwei Klassenräumen errichten lassen, ausreichend für die Kinder, deren Anzahl stets um zwanzig schwankte, und einen Lehrer engagiert. Im großen Raum lernten die jüngsten, in dem kleineren fanden die älteren Hilfe bei den Hausaufgaben.
    »Ich konnte nicht schlafen, ganz einfach«, sagte Carlotta Court, ihre melodiöse Stimme sanft, »ich muss die Sitzordnung für deine Hochzeit überarbeiten, die Millers haben sich mit den McFaddens überworfen und müssen getrennt werden. Nichts ist schlimmer als ehemalig beste Freunde, die sich als Kampfhähne gegenüberstehen. Sie würden die Hochzeit ruinieren. John Miller ist so hitzköpfig, der fängt nach den ersten Drinks glatt eine Schlägerei an. Kümmerst du dich heute um den Blumenschmuck? Hast du dich nun für Röschen entschieden?«
    »Ja, Rosen, in allen Farben außer Weiß«, nickte sie, »und ich muss noch zur letzten Sitzung für das Kleid.« Weit entfernt rollte ein unterschwelliges Grollen über den Himmel und belehrte sie, dass Nelly mal wieder Recht zu haben schien. Gewitter lag in der Luft, sogar sie konnte es jetzt riechen. Es erfüllte sie mit Besorgnis. Nicht wegen Nellys Warnung, die tat sie als mystischen Humbug ab. Die gewaltigen Gewitterstürme dieser Gegend konnten auch den Standhaftesten das Fürchten lehren. Immer wieder wurden Menschen vom Blitz erschlagen. »Hörst du das, Mama? Es wird Gewitter geben, du solltest besser nach Hause fahren. Wenn es einen Wolkenbruch gibt wie

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