Ein Land, das Himmel heißt
der feuchten Luft, Schwalben schossen dicht über der Oberfläche dahin. Die Furt, die zur anderen Seite führte, war um wenige Zentimeter überspült.
»Nein, ist das himmlisch«, rief Iris Krusen aus, »seht nur.« Sie wies auf den haushohen Tambotibaum am anderen Ufer, auf dem ein Fischadler eben in seinem Nest landete.
»Wir werden über eine kleine Brücke auf die andere Seite des Flusses gehen«, sagte Jill, »Hunderte von seltenen Vögeln nisten dort.«
Nils trat neben sie, nahm sie in den Arm. »Afrika«, sagte er leise, »sein Zauber lässt mich nie los, egal, was es mir antut.«
»Einmal Afrika, immer Afrika«, sagte Karen Barkow und machte ein feierliches Gesicht.
»Sie kennen Südafrika gut, nicht wahr?«, fragte Jill. »Ich kann es an Ihrem Englisch hören. Sie müssen lange hier gelebt haben.«
Karen Barkow lächelte, ein wenig wehmütig, nickte dann. »Ja, Sie haben Recht, wir haben lange hier gelebt. Jetzt leben wir in Deutschland.« Ihr Seufzer sprach Bände.
»Kommen Sie regelmäßig hierher?«, fragte Nils.
»Oh nein, es ist das erste Mal, seit langer Zeit«, jetzt leuchteten Karen Barkows Augen auf, »aber nun werden wir regelmäßig nach Natal kommen. Jetzt dürfen wir wieder.«
Das Geheimnis hinter diesen Worten reizte Jill. »Warum dürfen Sie erst jetzt wieder nach Südafrika?«
Karen Barkow zögerte, warf ihrem Mann, der schweigend zugehört hatte, einen fragenden Blick zu. Er nickte. »Es ist in Ordnung«, sagte er, »es ist vorbei.«
»Wir haben ein Visum gebraucht, damals. Vor Mandela.«
»Deutsche brauchen kein Visum für Südafrika«, bemerkte Axel, während er ein Obektiv wechselte, »damals auch nicht.«
»Wir schon«, antwortete Karen Barkow und hob ihr Kinn.
»Es war im alten Südafrika das Synonym für ein Einreiseverbot aus politischen Gründen«, sage Jill. Das erklärte auch, warum Karen Barkow manchmal nervös wirkte. »Haben Sie noch Angst?«, fragte sie die beiden.
Karen Barkow wechselte einen Blick mit ihrem Mann. »Nun, anfänglich haben wir dem Frieden nicht getraut, und der Moment der Einreise an der Passkontrolle wird nie einfach sein … Das riecht ja wunderbar«, schloss sie dieses Thema unmissverständlich.
Jill akzeptierte das, hatte kein Verlangen, in einer eben verheilten Wunde herumzustochern. »Gleich gibt es etwas zu essen«, rief sie und winkte alle heran. Rauchschwaden umwehten die Grills, auf denen Musa und Philani Lammkoteletts, Steaks, in Aluminiumfolie gewickelte Kartoffeln, Boerewors und Sosaties, in spezieller Soße marinierte Fleischspieße, grillten. Schüsseln mit frischem Salat und frische Brötchen standen schon auf dem Tisch.
»Ich habe rasenden Hunger«, verkündete Rainer Krusen und schaute begehrlich auf den Grill. Eine halbe Stunde später konnte er ihn stillen. »Ist es nicht ein Traum«, stöhnte er kurz darauf, »wir hier oben, zu unseren Füßen Afrika …« Das Wedeln seiner Hand umfasste den Fluss, den undurchdringlichen Uferurwald, den gleißend blauen Himmel, der durch das Blätterdach über ihnen blitzte.
»Da drüben«, flüsterte Jill, zeigte auf einen Wasserbock, der reglos am Wasser stand, kaum zu erkennen in dem gelbbraunen Ried. Ein Vogelzwitschern ertönte, eher ein eigenartiges Flöten. Jill, die mehrere Tonbänder mit Vogelstimmen besaß, konnte es identifizieren und horchte auf. Der Taveta-Honigvogel. In dieser Gegend kam er bisher nicht vor, war so selten, dass er auch in Mosambik und Simbabwe nur ein paar Mal gesehen wurde. Erstaunt drehte sie sich um, wollte den Busch nach dem Vogel absuchen und sah sich unvermittelt einer Mauer von Zulus gegenüber.
Wie aus dem Boden gewachsen standen sie am Rand des Rastplatzes. Lautlos, reglos, mit den Schatten verschmelzend. Im ersten Moment glaubte sie an ein Trugbild, dann kam Popi auf sie zu, und hinter ihm schlängelte sich Thandi heran. Ihr Herz machte einen Sprung. Der Rattenfänger und seine Gefolgsschar. Sie stand auf. Schlagartig verstummte jedes Gespräch, aller Augen starrten auf Popi und seine Leute. Wie in Momentaufnahmen nahm sie die Gesichter ihrer Gäste wahr, die eher überrascht als schockiert blickten, nur Joyce Kent sah aus, als hätte sie eine Keule getroffen, und Nils und Axel, die abgebrühten Reporter, zeigten ein Aufflackern ihrer professionellen Neugier.
»Yasmin«, rief Axel hocherfreut, »hallo. Wo waren Sie denn?«
»Hi«, sagte Yasmin, wedelte träge mit der Hand.
Verzweifelt suchte Jill nach einem Weg, die Situation zu entschärfen.
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