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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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herausbrachte. Sie schüttelte benommen den Kopf wie ein Boxer, der bei neun noch am Boden lag. »Wann soll denn das gewesen sein?«, krächzte sie.
    Thandi antwortete. »Umame lebte damals auf Inqaba. An einem Abend im Dezember 1968 half sie bei der Weihnachtsfeier der Farmervereinigung aus. Als sie ging, mitten in der Nacht, bot ihr dein Vater an, sie mit nach Inqaba zu nehmen. Es waren noch drei andere Weiße dabei, einer davon von der Bernitt-Farm, und alle waren betrunken. Sie fuhren irgendwo in ein Zuckerrohrfeld und fielen über sie her. Wir sind das Ergebnis.«
    Wie sollte sie nur die Bilder ertragen, die jetzt wie ein Film in ihrem Kopf abliefen? Wie sollte sie in ihren Gedanken den Mann bezeichnen, der sich an Thuleleni vergangen hatte? Daddy? Nein, das Wort Daddy war zu nah. Daddy hatte sie im Arm gehalten. Sie kannte ihn zu gut. Seinen Geruch, wie seine Bartstoppeln kratzten, wenn er ihr seinen Gutenachtkuss gab, die Zartheit, mit der er sie streichelte. Seine Liebe, seine Wärme … nein, nicht Daddy. Phillip Court dann? Andere nannten ihn so. Ihn konnte sie objektiver sehen. Aber die Bilder in ihrem Kopf blieben dieselben, die kalte Faust, die ihr Herz zusammenpresste, löste sich nicht. Sie räusperte sich. »Ihr lügt.«
    Thandi lachte. Einmal die Tonleiter rauf und wieder runter. Jill überlegte, ob sie es schaffen würde, ihr das Gesicht zu zerkratzen, bevor sich Popi dazwischenwerfen konnte. Ein winziger Rest Selbstbeherrschung hielt sie davon ab.
    »Du siehst doch, dass wir nicht lügen«, sagte Popi und wies auf seine Zehen, »unserem Vater gehörte die Farm, und jetzt ist es nur richtig, dass wir zwei Teile davon bekommen.«
    Jetzt sah sie den Zulu an. Nun gut, dachte sie, jetzt streiten sie sich um Inqaba wie ein Rudel hungriger Hyänen um Beute. Zu ihrer Verwunderung spürte sie keine Angst, beobachtete die ganze Szene mit kühlem Abstand, stufte ihre Reaktion aber richtig als eine Art Schock ein. Schon öfter hatte sie erlebt, dass ihre Emotionen erst durchbrachen, wenn alles vorbei und sie allein in ihrem Zimmer war. Sie machte eine kurze Bestandsaufnahme, um ihre eigenen Gedanken zu ordnen. Ben und seine Leute besaßen bereits einen Teil von der Farm, und das war in Ordnung so und ein gewisser Schutz. Musa hatte das am Sonntagabend Popi gegenüber eindrucksvoll demonstriert. Leon behauptete, Johann Steinach hätte seinen Urahn ermordet und dann sein Land gestohlen, Popi und Thandi behaupteten, Abkömmlinge von dem zweiten Sohn Mpandes zu sein, besaßen obendrein je zwei winzigen Narben unter ihren Zehen, die beweisen sollten, dass sie auch die Kinder ihres Vater waren. Ihre Geschwister. Daraus leiteten sie den Anspruch auf Inqaba ab. Ihr Inqaba, ihren Zufluchtsort.
    Sie blickte über das Land, das im Mondlicht zu ihren Füßen lag, geheimnisvoll unter den fliegenden Wolkenschatten, lauschte dem Chor der Nachttiere, der einst ihr Wiegenlied gewesen war, atmete die warme Luft und die Düfte Afrikas, die sie schon am ersten Tag ihres Lebens wahrgenommen hatte. Als sie dann antwortete, war ihre Stimme klar und schwankte nicht. »Inqaba gehört mir, und so wird es bleiben. Immer.« Damit schwang sie herum und ließ Popi und Thandi, ihre Kinderfreunde, stehen. Hinter sich hörte sie ein Zischen wie aus Schlangenkehlen oder von wütenden Wildkatzen, und plötzlich traten die Schatten aus dem Busch und standen auf dem Weg. Hinter ihr, vor ihr und um sie herum. Fast alle hielten Kampfstöcke in den Fäusten, zwei trugen Pangas und mehrere auch Schusswaffen, zwei sogar Maschinenpistolen.
    Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen, ihr Mund war trocken. Eine Wolke schob sich vor den Mond, sie konnte nichts mehr erkennen, wagte nicht sich zu rühren aus Angst, einem von Popis Leuten in den Arm zu laufen. Oder Popi selbst. Die Katze fiel ihr ein, die er vor vielen Jahren erwürgt hatte. Ihr wurde eiskalt. Jetzt wurde ihr klar, dass Popi nicht mehr ihr Freund war. Er war ihr Feind. Die Erkenntnis brachte sie nahe daran, ihre Fassung zu verlieren. Wie die Zulus dann reagieren würden, wollte sie sich nicht ausmalen.
    Thandi war das schwächste Glied der Kette. Sie hatte lange in ihrer, der weißen Welt gelebt. Sie musste sie packen. »Pfeif die Hunde zurück, Thandi«, rief sie in die Dunkelheit, ihre Stimme unnatürlich hoch, »die beiden Reporter sind auf dem Weg hierher. Sie bringen ihre Filmkamera.« Sie konnte die Worte kaum durch ihre Kehle pressen. »Im Übrigen will ich, dass du das Haus verlässt. Du

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