Ein Land, das Himmel heißt
Woche. Bedrückt öffnete sie das Tor zu Inqaba und wartete, bis es sich geschlossen hatte, um sicherzugehen, dass niemand mit ihr hereingeschlüpft war. Sie fuhr auf den Hof, als Philani eben mit dem Geländewagen voller Gäste hinunter zum Fluss fahren wollte. Ein Blick sagte ihr, dass der Wagen von Nils noch nicht wieder da war. Sie brauchte jetzt dringend Ablenkung, der Papierkram, der sich im Büro stapelte, konnte warten. »Philani, warte fünf Minuten, ich komme mit«, sie sprang aus dem Auto.
Keine fünf Minuten später, sie hatte sich nur Martins Hemd über die Jeans gezogen, kletterte sie zu den Gästen auf die Aussichtssitze, die ihr erfreut Platz machten und sie mit Fragen bestürmten. In ihrer Umhängetasche steckte ihre Pistole neben ihrem Handy. Daran würde sie sich jetzt gewöhnen müssen.
*
Der Anruf, auf den sie so gewartet hatte, kam am Abend. Es war Tita. »Jilly, gute Nachrichten. Mein Vater hat nachgraben lassen, und du hast jetzt eine lückenlose Dokumentation, angefangen von König Mpandes Unterschrift, dem Kaufvertrag zwischen Konstantin von Bernitt und Johann Steinach bis zur endgültigen Eintragung von Inqaba. Jetzt hast du Ruhe von dieser Seite, dein Schwager kann seinen Brief als Toilettenpapier verwenden, um es einmal gepflegt auszudrücken.«
Sie tanzte mit einem Freudenschrei durchs Zimmer. »Tita, wie kann ich das nur gutmachen.« Leon und Len, zwei geschafft, dachte sie, bleibt nur noch einer übrig. Popi.
»Ich werde mir etwas ausdenken«, antwortete Tita Robertson, und Jill hörte das Lächeln in ihrer Stimme, »komm doch morgen Mittag zum Lunch und hol dir die Unterlagen ab.«
Zeitlich passte es ihr eigentlich überhaupt nicht, denn morgen sollten die drei Bewerber um die Stellung am Empfang sich vorstellen, aber sie sagte zu. Irgendwie würde sie das schon hinbiegen. Sie wollte gerade mit einem Dank auflegen, als Tita sich noch einmal meldete. »Dein Vater ist schon wieder weg?«
»Ja, Sonnabendmorgen.« Einfach so, hat mich ein zweites Mal einfach allein gelassen. Das dachte sie allerdings nur.
»Kam etwas überraschend, nicht wahr?« Enttäuschung schwang in Titas Ton. »Er hat sich nicht bei uns gemeldet. Du weißt ja, dass wir uns praktisch aus der Sandkastenzeit kennen. Wir dachten, dass er jetzt hier bleiben würde. Immer hat er geschworen, dieses Land nie zu verlassen. Wir haben auf seinen Anruf gewartet.«
Die Frage nach dem Warum hing unausgesprochen zwischen ihnen. Warum ist er zurückgegangen, warum hat er sich nicht bei uns, seinen ältesten Freunden, gemeldet. Sie zögerte. Außer Nils und Axel wusste niemand von der Sache mit Popi und Thandi, und nur Nils wusste, was es mit den kleinen Narben unter den Zehen der Zwillinge auf sich hatte. Aber nicht einmal ihm hatte sie erzählt, was ihr Vater ihr und Irma gesagt hatte. »Er meint, er sei zu alt für Afrika.« Sie merkte selbst, wie lahm das klang. »Es tut mir Leid, Tita, ich versteh’s auch nicht, aber ich muss es akzeptieren.«
Nach einem langen Schweigen stimmte Tita zu. Jill verabschiedete sich und überlegte, ob sie Irma anrufen sollte, um ihr die guten Neuigkeiten zu überbringen. Sie zu bitten zurückzukehren. Würde sie dann ihr zuliebe den Zaun ziehen, mit richtig Wumm dahinter? Sie grübelte noch darüber nach, als es klopfte. Auf ihre Aufforderung trat ein junger Schwarzer in einem eleganten hellgrauen Anzug ins Zimmer. »Jonas«, rief sie erstaunt, »komm herein. Wie geht es dir?« Meine Güte, schoss es ihr durch den Kopf, was muss er verdienen, um sich so kleiden zu können.
»Ngiyabonga«, dankte er ihr und berichtete, dass sein Studium abgeschlossen sei. »Ich habe ein gutes Examen gemacht, aber Arbeit ist schwer zu finden. Die Firmen haben kein Geld.« Seine Hände hingen linkisch herunter, er starrte angestrengt auf die Spitzen seiner braunen Schuhe, die unter der rötlichen Staubschicht auf Hochglanz gewienert waren.
Sie musterte ihn genauer. Die Hacken seiner Schuhe waren abgelaufen. Ihr Blick wanderte höher. Das blaue Hemd war sauber und gebügelt, aber bei näherem Hinsehen bemerkte sie die ausgefransten Manschettenränder. »Suchst du einen Job, Jonas?« Die Frage kam ganz impulsiv.
»Ja, Mrs. Bernitt.« Ein erleichtertes Lachen brachte seine Augen zum Strahlen. »Yebo, Ma’m.«
Sie überlegte schnell. Jonas hatte eine abgeschlossene Hochschulausbildung, war also restlos überqualifiziert als Empfangschef. Aber mit Zahlen würde er als Ingenieur wohl bestens umgehen können,
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