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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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gefragt, wollte es nicht wissen, wollte das Hier und Jetzt genießen, sich nicht ausmalen, wie es sein würde, wenn sie wieder allein wäre. Kategorisch verbat sie sich den unerfüllbaren Traum, die unsinnige Hoffnung, dass er bleiben könnte. Er war ein Reisender, ohne Wurzeln, sein nächster Auftrag konnte ihn nach Uganda oder Sydney führen. Sie würde zurückbleiben. Ihre Wurzeln steckten zu tief in der roten Erde Natals, ihr Geflecht war zu weitläufig. Um von Inqaba fortzugehen, müsste sie ihre Wurzeln kappen, hätte keine Kraft mehr, in einem anderen Land neue zu bilden. Sie würde von innen vertrocknen, wie es ein Baum täte, der seiner Wurzeln beraubt wäre. Deswegen erlaubte sie sich nicht, zu träumen.
    Das Geräusch eines Autos, das vom Hof fuhr, drang an ihre Ohren. Das hieß, dass die ersten Gäste schon unterwegs waren. Sie musste auf der Terrasse nach dem Rechten sehen. Sie steckte das letzte Stück des Honigbrötchens in den Mund, wischte sich die Finger an den Shorts ab und sprang mit Schwung von der Mauer hinunter. Rasch ging sie zum Haus.
    »Jill.« Die Stimme, die ihren Namen aussprach, war sanft.
    Sie glaubte an eine Sinnestäuschung, blieb nicht stehen. Doch eine Hand auf ihrem Arm hielt sie zurück. Erschrocken fuhr sie herum, erstarrte in der Bewegung, zu überrascht, um zu reagieren. Vor ihr, im sonnenflirrenden Schatten der Guavenbäume, standen Popi und Thandi Kunene.
    »Du wolltest uns sprechen«, sagte Thandile. Das Weiße ihrer Augen und ihre schneeweißen Zähne leuchteten. Der Schmuck war verschwunden, sie trug Schwarz, ein ärmelloses Oberteil und schmale Hosen. Es stand ihr ganz ausgezeichnet zu ihrer goldbraunen Haut.
    Schweigend verfluchte Jill sich für ihre Unachtsamkeit, die Waffe im Haus liegen gelassen zu haben. Doch ihr Handy hatte sie in der Hosentasche. Blitzschnell nahm sie es heraus und tippte wortlos die Nummer der Polizei ein.
    Popi machte einen langen Schritt, entwand ihr das Telefon und schaltete es aus. Dann reichte er es ihr zurück. »Das wäre nicht sehr klug«, sagte er, »wir sollten erst reden.«
    Eine lange Schramme, die sich von seiner Stirn bis zum Kinn zog, fiel ihr auf. Sie war kaum verschorft, blutete noch an einer Stelle. Er musste sie sich kürzlich zugezogen haben. Bei dem Überfall auf die Farrington-Farm? Als sie Angelica fast ermordet hatten? Die Kinder angeschossen? Die Hunde geköpft? Eine blutrote Welle von Wut schlug über ihr zusammen. Mit einem Aufschrei bückte sie sich, hob einen faustgroßen Stein hoch, um ihn Popi an den Kopf zu schleudern. Doch jemand hinter ihr hielt ihren Arm fest, nahm ihr den Stein aus der Hand. Es war einer von Popis Leuten. Zu ihrem Entsetzen entdeckte sie, dass sich mindestens noch fünf von ihnen im Küchengarten aufhielten. Ihre olivgrünen T-Shirts, die verwaschenen Hosen verschmolzen farblich mit dem Blattwerk. »Was wollen die hier? Ich will euch allein sprechen. Suka!«, schrie sie die Männer an.
    Doch als wären sie Statuen, aus schwarzem Holz geschnitzt, verharrten die Männer. Popi nahm wieder diese arrogante Haltung ein, die sie bis aufs Blut reizte. »Nun gut«, höhnte sie, »es ist mir egal, wer es hört, was ich euch zu sagen habe. Also sperrt eure Ohren auf«, sie wandte sich Thandi zu, »mein Vater ist nicht euer Vater, und er hat eurer Mutter nie etwas angetan. Sie hat gelogen und damit meine Mutter in den Tod getrieben.« Sie hob eine Hand, als Popi etwas sagen wollte. »Halt, die Geschichte geht noch weiter. Seht ihr, in der Familie der Steinachs gibt es die erbliche Missbildung von sechs Zehen, aber auch in der Familie der Bernitts, und durch die ist sie in die Steinach-Familie gekommen, schon vor hundertfünfzig Jahren. Mein Vater ist ein Court, er hat nichts damit zu tun. Leon von Bernitt war an jenem Abend dabei, ich habe meinen Vater gefragt. Auch er hat sie vergewaltigt. Du bist Ärztin, Thandi, erklär’s deinem Bruder.« Sie wartete einen Moment, um diese Neuigkeit sacken zu lassen, dann vollendete sie lächelnd ihren Triumph. »Wisst ihr, was das heißt? Leon Bernitt ist euer Vater, na, wie findet ihr das?« Zufrieden beobachtete sie, mit welcher Wucht ihre Worte einschlugen.
    Die Zwillinge standen da, als hätte sie ihnen mit der Keule eins übergezogen. In den Minuten, die folgten, war nur die Hintergrundmusik der Zikaden zu hören. In Popis Gesicht arbeitete es, Thandi schien unter Schock zu stehen. Sie drehte sich weg, und Jill sah, dass ihr Tränen in den Augen standen.

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