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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Krokodilstränen, ohne Zweifel.
    »Ich wäre gern deine Schwester gewesen …« Thandile Kunene sagte es so leise, dass Jill glaubte, nicht richtig gehört zu haben, aber dann, als Thandi ihr das Gesicht zuwandte, wusste sie, dass ihre Kindheitsfreundin genau das meinte.
    Sie sahen sich an, sie und die schöne Zulu, keiner von ihnen sagte etwas. Jills Gefühle gerieten aus den Fugen. Sie hasste Thandi, sie hasste Popi, dessen war sie sich sicher. Als sich ihre Blicke voneinander lösten, hatte diese Sicherheit einen winzigen Riss bekommen.
    »Ein weiterer Posten auf seinem Konto«, sagte Popi endlich, »wir haben das nicht gewusst, wir haben wirklich geglaubt, was uns unsere Mutter gesagt hat, und ich bin sicher, dass auch sie die Wahrheit nicht kannte. Trotzdem ändert sich nichts. Wir wollen auf dem Land unserer Vorväter leben.«
    »Dann sag das deinem Vater. Vielleicht gibt der euch ja die Hälfte seiner Farm ab«, fauchte sie, wütend auf sich selbst, dass sie auf Thandis Gesäusel hereingefallen war. Der Riss in ihrem Panzer schloss sich. »Eure Mutter hat sehr viel Geld aus meinem Vater herausgepresst, und aus Leon und den zwei anderen vermutlich auch. Inqaba ist die schönste Farm weit und breit. Deswegen hat sie bewusst gelogen und damit den Tod meiner Mutter verursacht.« Schwer atmend brachte sie ihre Gefühle unter Kontrolle, bevor sie weiterreden konnte. »Außerdem werdet ihr euch nicht nur mit mir um Inqaba streiten müssen«, sagte sie, »euer Vater, mein Schwager, behauptet, dass ihm mindestens die Hälfte gehört.« Teile und herrsche. Wer hatte das noch gesagt? Sie erinnerte sich im Moment nicht mehr, aber vielleicht konnte sie erreichen, dass Leon und die Zwillinge aufeinander losgingen und sie in Frieden ließen.
    »Du verstehst das offenbar nicht«, sagte Thandi, »unsere Familie hat hier vor euch gelebt.«
    »Das interessiert mich nicht, hörst du?«, schrie sie. »Johann Steinach, mein Vorfahr, hat Inqaba von Mpande, dem König der Zulus, bekommen, weil er seinen Sohn gerettet hat. Was hat das mit uns zu tun, wenn er es Thulani, seinem anderen Sohn, weggenommen hat?«
    »Dein Vorfahr hat den unseren bei seinem Vater, dem König, schlecht gemacht«, sagte Thandi, die Ärztin.
    Jill lachte, selbst in ihren Ohren klang es etwas schrill, aber die Situation war irrwitzig genug. »So ein Quatsch. Warst du dabei?«
    »Nein, aber der Vater der alten Lena, die unsere Großmutter ist. Er war der Sohn von Thulani, er hat es seiner Tochter Lena erzählt. Es ist überliefert.«
    Jill starrte sie an. Auf einmal erschien ihr das, was vor hundertfünfzig Jahren passiert war, nicht mehr so weit entfernt, rückten Johann und Catherine, Konstantin und Sicelo näher. Wie alt mochte die alte Lena sein? Solange Jill sich erinnern konnte, hieß sie so. Sie war eine Sangoma, eine, die um die Wirkung aller Kräuter wusste, und man sagte ihr übersinnliche Kräfte nach. Ihre Augen unter den schweren Lidern glühten wie heiße Kohlen. Als sie klein war, hatte Jill furchtbare Angst vor diesen Augen gehabt. Auch heute beschlich sie ein unangenehmes Kribbeln, wenn Lena erschien. Es gab ein paar ungeklärte Todesfälle unter den Zulus, und das Gerücht, dass die alte Lena etwas damit zu tun hatte, zog wie Rauch durch die Ritzen der Hüttenwände. Bewiesen wurde ihr nie etwas. Manche glaubten, es gäbe sie gar nicht, sie sei eine böse Sinnestäuschung, erschiene nur, um Menschen Unheil zu bringen. Ihre unangenehmste Eigenschaft in Jills Augen war, dass sie aus dem Nichts auftauchen konnte, als wäre sie tatsächlich nur eine Illusion. Dann stand sie da, eine verschrumpelte, mumienhafte Frau in stinkenden Lumpen, gackerte mit zahnlosem Mund in einer Weise, als wüsste sie mehr als alle anderen.
    »Es macht keinen Unterschied. So hat es Mpande bestimmt, so ist es gemacht worden. Das Land gehört mir. Schert euch zum Teufel.« Sie schob Thandi beiseite und ging. Nach den ersten Metern lief sie, als würde sie gejagt. Erst als sie auf dem Hof angelangt war, verlangsamte sie ihre Schritte. Auf der Terrasse setzte sie sich wieder an den kleinen Tisch in der Ecke, musste sofort an den Streit mit Irma denken. Sie unterdrückte die Erinnerung.
    Trotz der frühen Stunde war sie nicht die Erste. Ein noch nicht wieder abgedeckter Tisch zeigte, dass einige Gäste bereits unterwegs waren, das musste das Auto gewesen sein, das sie gehört hatte. Bongi ging mit der Kaffeekanne herum, und sie hielt ihr den Becher hin, den sie noch immer

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