Ein Land, das Himmel heißt
Verwandte?«
Sie nickte. »Seine Schwägerin. Er ist tot? Was hat ihn umgebracht? Er war immer stark wie ein Ochse. Es ging so schnell. Er bekam einen Krampf, übergab sich und fiel um. Was ist es?«
Nachdenklich betrachtete der Notarzt den Toten. Er trug noch seine Gummihandschuhe, verschmierte diese Ekel erregende Flüssigkeit, die aus Leons Hose tropfte. »Blut«, sagte er, »Schüttelkrämpfe, Erbrechen, diese Gesichtsfarbe. Ich tippe auf Rizinusvergiftung. Wir müssen ihn obduzieren.« Er zog die Gummihandschuhe aus. Kurz darauf fuhr der Krankenwagen mit Leon davon. Ohne Sirene, ohne Blaulicht, mit vorgeschriebener Geschwindigkeit.
Jills Gedanken flogen über die vergangenen Tage, Stimmen redeten in ihrem Kopf durcheinander.
»Wenn sie drei von den Samen essen, gesellen sie sich zu den Ahnen.« Das hatte Nelly gesagt.
»Den kriegen wir auch noch.« Thandis Stimme. Sie meinte Leon Bernitt, ihren Vater, den Mann, der ihre Mutter vergewaltigt hatte.
Lenas Augen hatten geglüht, als der Name uSathane fiel. US athane, der Freund von Leon Bernitt, sein Komplize. Leon, der Vergewaltiger ihrer Tochter.
Die alte Lena, Sangoma, Kräuterkundige, Hexe. Jills Haut zog sich zu einer Gänsehaut zusammen. Mit klammen Händen hob sie die Einkaufstasche mit den Büchern hoch, ging in die Bibliothek. Fünfundvierzig Minuten später parkte sie auf dem überdachten Parkplatz des Krankenhauses und stieg aus, beladen mit Süßigkeiten, Blumen, Lesematerial für Angelica. Als sie kurz bei Irma hereinschauen wollte, flog die Tür auf, und eine aufgelöste Krankenschwester rannte heraus und den Gang hinunter.
»Ich will es …«, fauchte eine heisere Stimme aus dem Zimmer.
Erschrocken trat sie ein. Irma lag flach auf dem Rücken, Schläuche hingen aus ihr heraus und führten zu allen möglichen piepsenden Apparaten. Das kleine Herz auf dem Monitor zappelte aufgeregt. »Irma, meine Güte, was ist? Ich hole sofort den Arzt.«
»Will keinen Arzt, will Haare waschen«, keuchte Irma.
Sie hielt Irmas Hand, bis der Arzt kam, und ihr Herz wurde leichter, als sich sein Gesicht erhellte, während er seine Patientin untersuchte. Er lächelte, als er sich aufrichtete. »Sie sind erstaunlich, Mrs. Pickford – es geht Ihnen besser, als es eigentlich dürfte.«
»… zäh wie ein altes Perlhuhn«, krächzte Irma und brachte ein Kichern fertig, und Jill saß vor Rührung ein Kloß im Hals.
Vor Thandis Zimmertür musste sie sich innerlich stählen, ehe sie klopfte und eintrat. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Zwei dunkle Augenpaare waren auf sie gerichtet. Sie sah sich beiden Kunenes gegenüber.
»Wir haben gebeten, für das Treffen mit dir in ein Zimmer gebracht zu werden.« Seine Stimme war noch vollkommen heiser. Es war augenscheinlich, dass er Schmerzen hatte. Er lag mehr in seinen Kissen, als dass er saß.
Anspannung lag in der Luft, Jill spürte es sofort. Schon immer hatte sie empfindliche Antennen gehabt. Sie suchte nach Worten, wählte dann die, die die Sache am klarsten beschrieben. »Ihr habt Leon, euren Vater, umgebracht.« Es war eine Feststellung, keine Frage. »Er ist vor meinen Augen gestorben. Vermutlich an Rizinusvergiftung.«
Für Bruchteile von Sekunden sahen sich die Zwillinge in die Augen, huschte ein zufriedenes Lächeln um Popis Mundwinkel. Dann waren ihre Gesichter wieder ausdruckslos.
»Nun?« Sie stemmte die Arme in die Seite.
Thandi antwortete. »Wir liegen im Krankenhaus, Jill, wir waren es nicht, können es nicht gewesen sein.«
»Rizinusvergiftung führt erst nach drei bis fünf Tagen zum Tod.«
»Kommt drauf an, wie viel einer schluckt«, Thandi verzog ironisch den Mund, »es kann auch viel schneller gehen. Aber das nur als Information. Ich habe einen Eid geschworen, Jill, der mich verpflichtet, Leben zu retten, nicht zu nehmen. Wir waren es nicht.«
Jill glaubte ihr sofort. Also war es die alte Lena gewesen, aber wohl nicht persönlich. Sie musste Helfer gehabt haben. Bei diesem Gedanken schob sich plötzlich das Bild einer von Lenas Gehilfinnen, der, die so groß und kräftig war wie ein Mann, über das Bild eines der Hausmädchen von Lorraine. Die Bilder deckten sich aufs Genaueste. So war es also passiert. Nacheinander fing sie den Blick der zwei Zulus ein. Stoisch starrten die beiden zurück. Es war klar, dass sie nie ein Wort über die Angelegenheit verlieren würden. Niemand würde je erfahren, wer dem Leben von Leon Bernitt tatsächlich ein Ende gesetzt hatte. Aber
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