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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Richtung zu wählen. Es hatte so kommen müssen, wie es gekommen war. Sie sollte heute in diesem Strandcafé sitzen, zur Tatenlosigkeit verdammt, sollte machtlos zuschauen, wie das Schicksal ihr Leben entschied. Die Kugel rollt. Nichts geht mehr.
    Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, Dunkelheit umfing sie.
    Kinderstimmchen, die hell durch die weit offenen Restauranttüren klangen, holten sie zurück. Sie sah hinüber, durchsuchte rasch den Raum mit den Augen. Es hatte sich nichts verändert, bis auf den reservierten Tisch für Nils waren alle Tische besetzt, die Aktentasche stand auch noch da. Seltsam.
    Eine Aktentasche? Eine Erinnerung blitzte in ihr auf. Noch vor wenigen Jahren, in den heißen Zeiten des Freiheitskampfes, wäre eine herrenlose Tasche Grund für eine Massenpanik gewesen. Damals hingen überall in den Geschäften Attrappen der verschiedenen Minen- und Bombenformen. Jeder wurde angehalten, sie sich einzuprägen, um so ein Ding auf Anhieb erkennen zu können, wenn es zum Beispiel am Bein eines Restauranttisches klebte. In den Zeiten der Regenbogennation war das natürlich nicht mehr nötig.
    Jedenfalls bis vor kurzem nicht. Eine Welle von Bombenattentaten überschwemmte neuerdings Kapstadt, das sichere, kosmoplitische, leichtlebige Kapstadt. Im Fernsehen war der wackelige Amateurfilm gebracht worden, der das Café auf der Strandpromenade in einem der teuersten Vororte Kapstadts zeigte. Es war überfüllt, bis auf den Fußweg saßen die Gäste. Die Sonne schien. Plötzlich schwärzte ein Blitz das Bild, eine ohrenbetäubende Explosion war zu hören, das Klirren von Glas, das Krachen von einstürzenden Mauern. Dann Stille. Und dann die Schreie.
    Stumm vor Entsetzen hatte sie auf das Schlachtfeld gestarrt, das von glitzernden Glassplittern und Steinstaub wie mit einer kostbaren Decke bedeckt war. Sie sah schreiende Menschen, Blut, abgerissene Gliedmaßen, zerstörte Gebäude. Und dann sah sie Marius Konning, mittendrin, sah ihn langsam aufstehen, sich umblicken. Der Steinstaub hatte seine Haare grau gepudert, zeichnete jede Linie seines Gesichtes scharf nach. Er schien auf einen Schlag dreißig Jahre älter geworden zu sein. Eine zittrige Stimme, aufgeladen mit Angst, schrie seinen Namen. »Marius!« Die Kamera schwenkte mit seinem Blick.
    Am eingedrückten Fenster im ersten Stock stand Lina mit Lilly im Arm, eingehüllt in den glasglitzernden Schleier der dünnen Sonnengardinen des Restaurants. Bis heute fühlte Jill den Schlag in der Herzgegend, als sie ihre Freunde erkannte.
    Lina am Fenster schrie immer noch, versuchte sich und Lilly aus der Gardine zu befreien. Ein Schauer aus Glassplittern regnete auf Marius hinunter. Er sah hoch zu seiner Familie, stand ganz still. Tränen gruben feuchte Spuren in den Steinstaub. Dann sagte er etwas, deutete auf die Verletzten. Lina antwortete, nickte. Als erster Arzt vor Ort begann er seine Arbeit. Später hörte sie von ihm, wie hart es gewesen war, ohne Instrumente, ohne Medikamente, nur auf Improvisation angewiesen, einem Mann, dem die Beine abgerissen worden waren, der in lebensbedrohlichem Schock lag und zu verbluten drohte, zu retten. Aber es gelang ihm. Sie war ungeheuer stolz auf ihren Freund gewesen.
    »Marius war im Krankenhaus aufgehalten worden«, schluchzte Lina, immer noch unter Schock stehend, als Jill sie endlich am Telefon erreicht hatte, »ich fand nur im ersten Stock einen Tisch am Fenster«, weinte sie, »die Sonne blendete Lilly, und ich zog die Gardine vor. Im selben Moment krachte es. Das Fenster wurde eingedrückt. Aber die Glassplitter blieben in der Gardine hängen. Marius wurde nur von der Druckwelle zu Boden gerissen – es gibt also doch Schutzengel«, Lina wurde von rauen Schluchzern schier zerrissen. »Und keiner hatte die Aktentasche bemerkt, die jemand ganz unauffällig neben dem Tisch hatte stehen lassen. Keiner.«
    Jill sah hinüber. Die Aktentasche stand noch da. Ein heißer Knoten bildete sich in ihrem Magen, auch durch Reiben wollte er nicht verschwinden. Endlich stand sie auf, entschlossen, zur Wirtin zu gehen, um sie auf die Aktentasche aufmerksam zu machen, als Nils, ohne sie zu sehen, mit langen Schritten an ihr vorbei durch die Tür ins Restaurant stürmte, die Wirtin grüßte und sich an den reservierten Tisch setzte. Er legte eine Zeitung aus der Hand, entfaltete die Serviette, und sie rannte los, vergaß die Aktentasche, die Männer in ihren muslimischen Gewändern, die Bombe, die Lina und Marius fast erwischt

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