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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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durch bis zur Kasse, wo sie die Besitzerin erspähte, und lehnte sich über den Tisch. »Mein Mann war eben hier«, sie beschrieb ihn, »er scheint wieder gegangen zu sein. Haben Sie ihn gesehen?« Was ging die Wirtin ihr tatsächliches Verhältnis an.
    Die Restaurantwirtin nickte, und ein Zentnergewicht fiel von ihr. »Sie meinen Nils? Es war alles besetzt, er hat einen Tisch in einer halben Stunde reserviert. Sogar bestellt hat er schon, offenbar hat er es eilig.«
    »Ich warte draußen auf ihn«, sagte Jill und schlängelte sich zwischen den Tischen durch auf die überfüllte Aussichtsterrasse, die direkt neben dem Turm der Rettungsschwimmer über den Strand hinausgebaut worden war. Sie fand einen Platz ganz vorn, so dass sie nicht nur den Strandweg und den Weg, der am Cabana Beach Hotel vorbei nach oben auf Umhlangas Lagoon Drive führte, sondern auch den Eingang des Restaurants im Auge hatte. Er würde es nicht unbemerkt von ihr betreten können.
    Warum war er noch hier? Hatte er seinen Flug in Durban verpasst, wollte er versuchen, es mit dem Auto rechtzeitig zum Abflug der internationalen Maschine in Johannesburg zu schaffen? Oder – sie fühlte einen heißen Stich im Herzen – oder hatte er es sich anders überlegt? Für Sekunden lief ihre Fantasie Amok. Suchte er sie vielleicht? Wollte er ihr sagen, lass uns noch einmal beginnen, ich kann ohne dich nicht sein? Deutlich fühlte sie seine Hände auf ihrer Haut, hörte seine Stimme, hörte das leise Lachen, das nur für sie bestimmt gewesen war, und für einen Moment wich die Welt um sie zurück, und sie war allein mit ihm.
    Eine Lautsprecheransage zerstörte die Illusion. Eine halbe Stunde, hatte die Wirtin gesagt, dreißig Minuten, eintausendachthundert Sekunden. Sie sah sich vor einem großen, fest verschlossenen Tor stehen, um sie herum nur Dunkelheit und Kälte. Und Einsamkeit, dachte sie, Einsamkeit. Diese knochenkalte Einsamkeit. Würde er das Tor für sie aufstoßen und ihr den Weg ins Licht freigeben? Sie schloss die Augen wie zum Gebet, ballte ihre Hände im Schoß, grub die Nägel so tief in die Handflächen, dass die Nagelabdrücke als blaue Male stehen blieben. Es muss so sein. Ich muss es ihm sagen. Er muss es wissen. Eine andere Möglichkeit lasse ich einfach nicht zu.
    Die Sonne brannte, ihre Haut prickelte. Es war ein brütend heißer Tag. Sie zog einen der gelb gestreiften Sonnenschirme zu sich heran. Ihr Rock war fast trocken, steif vom Salz des Meerwassers, das auch auf ihrer Haut eine Salzkruste hinterlassen hatte. Sie leckte ihre Lippen und bauschte ihre kurzen Haare mit allen zehn Fingern auf. Langsam bekam sie wieder ein Gefühl für sich und nahm ihre Umgebung wahr.
    Suchend wandte sie ihren Kopf nach links und rechts, sein Abbild vor Augen, aber noch war er nicht aufgetaucht. Am Strand konnte sie kaum etwas erkennen, der Salzschleier über dem Wasser schimmerte, Sonnenreflexe glitzerten, Formen und Farben lösten sich auf. Sie kniff ihre Lider zu Schlitzen, die weite Fläche des Indischen Ozeans funkelte wie ein Tuch aus Diamanten. Für Sekunden glaubte sie, unter die verführerische Oberfläche sehen zu können. Sie sah die großen silbernen Räuber, die in der Tiefe jagten, den majestätischen Flug der Mantarochen, die winzigen, glitzernden Schwarmfische, die bei jedem huschenden Schatten zusammenzuckten, sah Steinfische, die heimlichen Mörder, lautlos am Meeresgrund auf Beute warten, die bunten Schmetterlingsfische, die geschäftig zwischen den Felsen ihrem Tagwerk nachgingen, und die zänkischen Sergeantfische in ihren Felsenhöhlen, die keinen Nachbarn friedlich leben ließen.
    Ein Abbild unser Gesellschaft, dachte sie und musterte die zwei Männer, die eben das Restaurant betraten. Dunkle Haare, dunkle Haut, nachthemdähnliche weiße Gewänder, besticktes Topi auf dem Kopf. Einer trug eine Aktentasche. Vertreter der großen Muslimgemeinde Durbans vermutlich. Ermüdet von der Begegnung mit ihren eigenen Abgründen und der Gewalt des Meeres, wunderte sie sich nur flüchtig, was die zwei Männer mittags mit einer Aktentasche in einem italienischen Restaurant am überfüllten Strand taten. Müßig sah sie ihnen nach. Dann glitt ihr Blick wieder ab.
    Eine Kellnerin blieb neben ihr stehen, eine junge Zulu in knappem Minirock, die ihre Haare zu unzähligen Zöpfen geflochten hatte, die wie weiche Stacheln um ihren Kopf standen. »Was kann ich Ihnen bringen?« Sie strahlte über ihr rundes, fröhliches Gesicht.
    Jill merkte jetzt

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