Ein Land, das Himmel heißt
für alle Unbill wähnte. Ich glaubte tatsächlich, dass das Leben so ist, wie wir es hier auf Inqaba leben.«
Heute fiel es ihr schwer zu verstehen, wie sie so wirklichkeitsfremd hatte aufwachsen können, auch wenn sie die Antwort kannte.
Afrika.
Hier fließt die Zeit träge, und der Mensch schwimmt mit dem Strom, versucht nicht, sich dagegenzustemmen, ihn aufzuhalten. Sie hatte sich von Afrikas Trägheit verführen lassen, wo am nächsten Tag immer noch Zeit genug ist, hatte geglaubt, sich dieser anderen Welt, der hinter den Hügeln, entziehen zu können. Auf ihrem Land wurde weiter wie seit Jahrtausenden das Leben nur von der Natur bestimmt. Von der Sonne, ihren Leben spendenden Strahlen und der alles versengenden Hitze, vom Regen, seinem Ausbleiben, den gewaltigen Gewittern und Sintfluten, die Land, Menschen und Tiere verschlangen.
Bis zu dem Tag im April vor einem Jahr, als sie über Nebenstraßen nach Ngoma, dem kleinen Ort in den Bergen Zululands, fuhr. Apriltage in Natal sind meist klar, die glühende Sommerhitze ist gebrochen, der Wind mild und schmeichelnd, und so fuhr sie mit weit geöffneten Fenstern, ohne Klimaanlage Es war früher Nachmittag, und sie schmeckte noch immer die köstliche Crème Caramel, die Nelly als Nachtisch zum Mittagessen gemacht hatte. Die Sandstraße war staubig, die Oberfläche wellig und von ausgefahrenen Rinnen durchzogen, so dass sie nur langsam vorankam.
Zwischen ihr und der Hauptstraße lag noch die Furt. Sie war zwar mit Steinblöcken und Zement befestigt, aber bei Hochwasser nicht passierbar. Erleichtert stellte sie kurz darauf fest, dass das Wasser nur den tiefsten Punkt überströmte. Hier musste sich eine natürliche Stufe im Flussverlauf befinden, denn auf der rechten Seite lagen Straße und Fluss auf einem Niveau, links stürzte er einen drei viertel Meter tiefer in ein palmengesäumtes, felsiges Bett, und sein Rauschen überdeckte alle anderen Geräusche.
Hart an der Kante stand unbeweglich ein brauner Hammerkopfvogel, die glitzernden schwarzen Augen fest auf das schäumende Wasser gerichtet, und wartete auf seine Fischmahlzeit. Für ein paar Minuten unterbrach sie ihre Fahrt, fotografierte den Vogel für ihre Unterlagen, die sie als Ornithologiestudentin brauchte. Als ein beißender Geruch nach Verbranntem durchs Fenster strömte, schloss sie es, legte ihre Kamera auf den Beifahrersitz und lenkte ihren Wagen vorsichtig an dem Hammerkopf vorbei und auf der gegenüberliegenden Flussseite die steile Steigung hinauf.
Als sie die enge Kurve hinter sich ließ, die die Straße hier beschrieb, sah sie sich unmittelbar mit einer johlenden Menschenmenge konfrontiert, die wie irrsinnige Derwische um ein schwelendes Feuer sprangen. Erschrocken machte sie eine Vollbremsung und kam auf den losen Steinen, die die sandige Straßenoberfläche bedeckten, schlitternd zum Stehen.
Es waren durchweg junge Leute, alle schwarz, eine große Gruppe Kinder in Schuluniformen darunter. Als sie ihrer ansichtig wurden, verstummten sie schlagartig, erstarrten. Aber nur für einen kurzen Moment. Dann flog ein Stein, und ein Spinnenriss lief über ihre Windschutzscheibe. Ein junger Mann hatte ihn geschleudert. Wütend drehte sie das Fenster herunter. »Hey!«, schrie. »Seid ihr verrückt, was soll das?«
Ein zweiter Stein prallte gegen die Tür, und der Junge, der ihn geworfen hatte, lachte und trat einen Schritt beiseite, gab den Blick frei auf das Feuer, so dass sie sehen konnte, was es nährte.
Es war eine kleine Schaufensterpuppe, wie es schien, die auf dem Rücken lag, bedeckt mit einer flockigen schwarzen Schicht. Um ihren Hals lag ein schwelender Autoreifen. Die Beine waren angezogen, die völlig verkohlten Hände Hilfe suchend hochgereckt, der Kopf war wie im Krampf in den Nacken gebogen. In dem schwarzen Gesicht leuchteten gelbliche Zähne, der Mund war zu einem Schrei geöffnet. Bevor sie wegsehen konnte, sah sie, dass die Puppe keine Lippen mehr hatte. Sie waren verbrannt.
In diesem Augenblick bewegte sich die Puppe, wurde zu einem halbwüchsigen Jungen, einem Kind, und plötzlich erkannte sie, was sich da vor ihren Augen abspielte. Der Junge wurde von seinen Stammesgenossen mit dem Halsband hingerichtet. So nannten sie es, wenn sie ihren Opfern einen Autoreifen um den Oberkörper legten, ihn mit Benzin füllten und dann ansteckten. Polizeispitzel verbrannten sie so, die, die sie als Hexen ansahen, und auch solche, die das Pech hatten, im falschen Moment am falschen Ort zu sein.
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