Ein Land, das Himmel heißt
rief seinen Namen, aber er antwortete nicht. Wo war er bloß? Doch dann, als sie an der offen stehenden Eingangstür vorbeilief, hörte sie Hufklappern. Auf einem prachtvollen Rappen ritt er eben auf den Hof. Sie schlug einen Haken und stürzte aus dem Haus. »Daddy!«, rief sie mit überkippender Stimme und rannte auf ihn zu. »Daddy!«
Er sprang vom Pferd ab, strich ihm liebevoll über den glänzenden Hals und warf die Zügel seinem Pferdepfleger zu, der von den Ställen herübergekommen war, die sich in einiger Entfernung des Hauses befanden. »Reib ihn ab und gib ihm Wasser«, befahl er. Dann wandte er sich mit breitem Lachen Jill zu, konnte sie gerade noch auffangen, als sie sich ihm in die Arme warf. »Was ist passiert, Kätzchen, du bist ja völlig außer dir?« Er klang belustigt. »Hat der Schneider das Hochzeitskleid versaut? Ich werde ihn auf der Stelle erschießen.«
Sie zwang ihre Tränen zurück, zwang sich langsam und ruhig zu sprechen, denn es war wichtig, dass er verstand, was im Haus vor sich ging. Bereits während ihrer ersten Worte verließ jeglicher Ausdruck sein Gesicht, das Lachen erstarb, seine Augen wurden zu graublauen Steinen. Zurück blieb eine kittfarbene Maske mit blutleeren Lippen. Während er konzentriert zuhörte, starrte er auf die Spitzen seiner Reitstiefel.
»Sie sind jetzt in seinem Zimmer und durchsuchen es. Er soll … von einer Bombe zerrissen worden sein …«, zwischen den Sätzen musste sie immer erst tief durchatmen, ehe sie weitersprechen konnte, ihr Hals war papiertrocken, jedes Wort schmerzte, »… sie behaupten, dass Tom Mitglied des African National Congress ist … gewesen ist«, korrigierte sie sich, »das kann doch nicht sein, die können doch nicht unseren Tommy meinen … er hätte doch etwas gesagt …«
Ihr Vater sagte nichts. Seine Finger auf ihren nackten Schultern fühlten sich an wie kalte Eisenklammern.
»Tu was, Daddy, ich glaub denen nicht.« Es kostete sie unglaubliche Anstrengung, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie spürte, wie ein Krampf durch seinen Körper lief. Er ließ sie los, stürmte mit langen Schritten ins Haus, durch die Eingangshalle und trat gegen die Tür zu Toms Zimmer. Sie flog auf, knallte gegen die Wand. Jill rannte hinter ihm her, hörte seine schneidende Stimme und hörte Mr. Cronje antworten. Die Worte verstand sie nicht. Dann erreichte auch sie Tommys Zimmer, dicht gefolgt von Martin.
Ihr Vater und die beiden Polizisten standen sich gegenüber, Phillip Court starrte unter gesenkten Brauen auf die Männer herab. Er war sehr viel größer als beide. Zu den Füßen der Polizisten häuften sich Stapel von Notizen und Akten, die sie aus den Regalen von Tommys Zimmer geräumt hatte. Mr. Cronje hielt ein Heft in der Hand, ein einfaches Schulheft mit grünem Einband, dicht mit Toms schwungvoller Handschrift beschrieben. Sie erkannte es sofort. Es war kein richtiges Tagebuch, eher ein Tagesbuch, eines, in das er alles eintrug, Termine, Daten, Gedanken. Gedanken?
Was waren deine Gedanken gewesen, Tommy? Bitte erklär es mir.
Mr. Parker wies auf die Notizen, die Akten und das Schulheft in der Hand seines Kollegen. »Das nehmen wir vorläufig mit. Sie bekommen eine Quittung.« Er blätterte in einem Aktenorder, las hier und da einen Absatz, schien vergessen zu haben, dass sie und ihr Vater vor ihm standen. Doch unvermittelt sah er hoch, ein grausames Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. »Er war ein Verräter, Mister Court, er hat seine eigenen Leute verraten, und die haben ihn dafür hingerichtet.« Er erhob seine Stimme nicht ein einziges Mal. Sanft und eisig strich sie über ihre Haut. Seine Miene war von jener heuchlerischen Verbindlichkeit, die solche Menschen zu pflegen scheinen.
Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie begriff, was er meinte. »Nein!«, schrie sie und sprang vorwärts. Ihre Hände zu Krallen gebogen, schlug sie nach ihm.
Reaktionsschnell warf sich Martin dazwischen, hielt sie fest, verhinderte gerade noch, dass sie dem Mann mit den Fingernägeln das Gesicht zerkratzte. »Jill, reiß dich zusammen!«
Sie hörte ihn gar nicht, strampelte vergeblich in seinem festen Griff. »Mein Bruder war kein Verräter, niemals!«, schrie sie die Polizisten an. »Nie hätte er seine Freunde verraten – nicht er. Er war ein wunderbarer Mensch … wunderbar … ihr werdet ihm nicht auch noch seine Ehre nehmen, das lass ich nicht zu …«, sie holte rasselnd Luft, »… vielleicht habt ihr ihn ja ermordet …
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