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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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ausgreifenden Schritten dem Strand zustrebten. Der Wind trieb einen gelben Sonnenhut über den Sand, zwei junge Mädchen rannten ihm nach, Kinder ließen einen Drachen steigen. »Stell dir vor, wir schaffen es, dann ist Südafrika der Himmel auf Erden.« Verlangend wanderte ihr Blick die Küste hoch nach Norden. »Zululand«, flüsterte sie, »unser Land, das Himmel heißt.«
    »Du bist verrückt, du träumst doch.« Erregt lief er ein paar Schritte vor ihr her.
    »Ja, doch, stimmt. Ich träume, aber verrückt bin ich nicht.«
    Er fuhr herum. »Glaubst du ernsthaft, dass die sich jetzt alle in weiße Lämmer verwandeln werden?«, sein Ton war ungewöhnlich aggressiv. »Wach auf, verdammt, hast du das Grinsen von dem Kerl gesehen? Dem nächsten Weißen, der nicht vor ihm in die Knie geht, zieht der gleich eins über. Oder sticht ihn ab!«
    Ein Fussel hing aus der Naht ihres roten Kleides heraus. Sie zupfte daran, drehte ihn, riss ihn ab und schnippte ihn weg. Im Seewind schwebte er davon. Sie sah ihm nach, dachte an ihre Angst vorhin, die sie fast überwältigt hatte, und sie dachte an ihren Bruder. Langsam zählte sie drei tiefe Atemzüge, ehe sie sich zutraute, ruhig zu antworten. »Wozu ist Tom dann gestorben?« Die Mühe, die sie es gekostet hatte, nicht laut zu werden, keine Gemütsregung zu zeigen, war ihr nicht anzumerken.
    Er dagegen hatte sich nicht unter Kontrolle. »Dein Bruder war verrückt, seine Pläne waren selbstmörderisch«, brüllte er. »Er war ein Terrorist.«
    »Welche Pläne«, unterbrach sie ihn heftig, »welche Pläne? Martin, was weißt du von Toms Plänen?« Grob packte sie ihn am Arm und hätte ihn am liebsten geschüttelt, als er nicht gleich antwortete.
    Aber er zuckte die Schultern, sein Blick glitt ab. »Jeder Weiße, der dem ANC beitritt, benimmt sich selbstmörderisch und ist ein Terrorist, oder?«
    Aufgewühlt starrte sie ihn an. Er wusste etwas, dessen war sie sich sicher. Wieder sah sie ihn mit Leon am Grab stehen, hörte den kurzen, ungestümen Wortwechsel, dann schob sich ein anderes Bild vor ihr inneres Auge. Martin und Leon am Tag ihrer Hochzeit, sie standen in einer Ecke, die Köpfe zusammengesteckt, und diskutierten. Und als sie dazugekommen war, hatten sie das Gespräch sofort abgebrochen, Leon war gegangen. Nein, korrigierte sie sich, so war es nicht gewesen, Martin hatte ihn weggeschickt. »Hat dir Leon etwas gesagt? Das stimmt doch, oder? Ich hab es gesehen, damals am Grab und auf unserer Hochzeit. Er hat dir etwas gesagt, was mit Tom zu tun hatte. Was war das?« Sie blieb stehen, als er nicht antwortete. »Martin«, flehte sie, »bitte, tu mir das nicht an.«
    Er reagierte nicht einmal, unterbrach den Rhythmus seiner langen Schritte nicht. Sie lief ihm nach, schweigend gingen sie nebeneinander her, berührten sich nicht. Nur Zentimeter trennten sie, aber es hätte auch ein bodenloser Abgrund sein können. So gingen sie die ganze Strecke, am Oyster-Box-Hotel vorbei, kreuzten die Straße zu dem baumbestandenen Platz, auf dem alle Festlichkeiten des Ortes stattfanden, liefen bei Rot über die Fußgängerampel, die anfahrenden Autos kaum beachtend, an der Ladenzeile vorbei bis zum Innenhof der Protea Mall, wo sie mit Lina und Marius verabredet waren.
    Ihre Freunde waren noch nicht da. Jill setzte sich an einen Tisch, starrte vor sich hin. »Wir müssen reden«, sagte sie nach einer Pause, »wenn du etwas über Tommy weißt, sag es mir, egal, was es ist. Ich muss es wissen. Verstehst du das nicht?«
    »Es gibt nichts zu reden, ich weiß nichts, glaub mir«, erwiderte er kurz, seine Stimme senkte sich, setzte einen Schlusspunkt unter die Diskussion. Flüchtig drückte er ihre Hand, dann schaute er sich um. »Sieh doch, da sind Marius und Lina. He, hier sind wir!«, schrie er heftig winkend.
    Die beiden stiegen eben aus ihrem angerosteten Ford. Lina, in einem quietschgelben Flatterkleid, hielt sich die offenen Haare aus dem Gesicht, schaute sich suchend um. Marius, groß, kräftig, solide, dunkle Haare, Augen wie ein Latin Lover, sah müde aus. Vermutlich hatte er mal wieder die Nacht durch operiert. Jill sah auf ihre Hände. Sie glaubte Martin nicht, der Zweifel, ob sie den Mann, den sie geheiratet hatte, wirklich kannte, nagte an ihr wie ein bösartiges Tier. Martin und Leon. Etwas ging hier vor. Wie passte dieser Einarmige da hinein? Das krieg ich raus, versprach sie sich, für Tommy und für uns muss ich das klären.
    Wenn da wirklich etwas ist und ich es mir nicht nur

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