Ein Land, das Himmel heißt
Kerl mit beeindruckenden Muskelpaketen unter seinem engen weißen Hemd, machte einen Schritt vorwärts, die Stufe herunter, aber er ragte noch immer drohend wie ein Turm vor ihr auf. Er war ihr so nah, dass sein Atem über ihr Gesicht strich. Auf den scharfen, abstoßenden Geruch eines ungewaschenen Menschen in ungewaschener Kleidung gefasst, atmete sie nur flach, zurückweichen wollte sie nicht. Doch sie roch das Parfum von Seife, kräftige Zigaretten, ein bisschen frischen Schweiß. Erstaunt musterte sie die fünf genauer.
Lange, gebündelte Ketten weißer Glasperlen hingen um den Hals des Bulligen. Ein Zeichen, dass er verlobt war und dass er sich seinen Traditionen stark verbunden fühlte. Ihn würde sie einschätzen können. Die anderen hatten ihre Baseballkappen verkehrt herum aufgesetzt, goldgeränderte Sonnenbrillen mit verspiegelten Gläsern auf die Stirn geschoben, aber ihre Hemden waren gebügelt, zwei trugen sogar Jacketts. Ihr Puls wurde langsamer.
Da begriff sie. Die Männer hatten sich fein gemacht. Die Legalisierung der Untergrundparteien war gerade acht Wochen her. Misstrauisch wie Tiere, der Schonzeit nicht trauend, waren die Kämpfer bisher nur zögernd aus der Deckung getreten. Heute war Sonnabend, die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, und vielleicht wagten die fünf heute ihren ersten Ausflug in den normalen Alltag. Vielleicht wollten sie ihre Freundinnen am Strand treffen, mit ihnen Eis essen, flanieren. Vielleicht wollten sie nur das Gefühl der Freiheit genießen. Zum ersten Mal in ihrem Leben.
»Macht Platz«, befahl da Martin barsch.
Niemand rührte sich, die fünf Männer bildeten eine massive, bedrohliche Mauer, fünf Paar Augen brannten in ihren. Drei von ihnen schubsten ihre Sonnenbrille herunter, und Jill sah nur noch sich selbst in den verspiegelten Gläsern, konnte die Augen der Männer nicht mehr erkennen. Es war ihr unheimlich. Der Bullige hob sein Kinn, identifizierte sich mit seiner Haltung als Anführer. »Du wirst uns Platz machen, white Boy!« Die letzten zwei Worte spuckte er ihnen vor die Füße.
Jill fühlte Martin zurückzucken, Röte überflutete sein Gesicht, er fletschte die Zähne. Jede Sekunde würde er explodieren, und das würde entweder seine Gesundheit oder vielleicht sein Leben kosten. Und vielleicht auch meins, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie machte sich keine Illusion darüber, dass ihr jemand zu Hilfe kommen würde, und Martin trug keine Waffe.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, lächelte sie den bulligen Schwarzen vor ihr an, ganz gezielt, wie sie einen Freund anlächeln würde, fast ein wenig kokett. So hatte sie noch nie einen schwarzen Mann angelächelt, und sie stellte mit Erstaunen fest, dass sie zum ersten Mal instinktiv einem Schwarzen gegenüber als Frau reagiert hatte. Doch jetzt war keine Zeit, darüber nachzugrübeln, warum sie das erstaunte. »Guten Morgen«, sagte sie auf Englisch, lächelte wieder und trat auf die Seite, quetschte sich zwar nicht an die Begrenzungsmauer der Treppe, aber sie gab den Weg frei. Den völlig überraschten Martin zog sie mit sich. »Hambani kahle, geht in Frieden«, wünschte sie und schubste Martin an den Männern vorbei die Treppe hoch.
Die Zulus starrten sie wie vom Donner gerührt an. »Yebo, sala kahle«, stotterte der bullige Anführer überrumpelt, und die anderen wiederholten die Worte automatisch. Der Bullige fasste sich am schnellsten. Triumph glimmte tief in seinen Augen auf, ein langsames Grinsen spaltete sein Gesicht. Er reckte den Arm hoch, ballte die Faust. »Amandla!«, röhrte er. Das Wort explodierte förmlich aus seinem Mund. »Amandla!«, antworteten die anderen.
»Warum hast du das getan?«, fuhr Martin sie zornig an. »Du hast den Kopf eingezogen. Wenn wir denen nachgeben, werden die uns verschlingen. Hast du gehört, was die eben gebrüllt haben? Amandla, Gewalt! Die warten nur darauf, uns abzuschlachten.«
Jill sah den Männern nach. Ihr bulliger Anführer machte einen Tanzschritt, rief ein paar Worte, lachte, und die anderen antworteten. »Es kann auch einfach mit ›Kraft‹ oder ›Stärke‹ übersetzt werden«, sagte sie versonnen, »kannst du dir vorstellen, wie die sich fühlen? Nach all diesen Jahren, die sie vor uns vom Bürgersteig heruntertreten mussten? In denen sie Boy genannt wurden, obwohl sie erwachsene Männer waren?« Ihr Herz klopfte, sie machte eine Handbewegung, die alles einschloss, die fröhliche Menschenmenge, die fünf Männer, die mit
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