Ein Land, das Himmel heißt
einbilde? Den Gedanken konnte sie nicht verhindern, auch nicht, dass der Boden unter ihren Füßen schwankte. Matt lächelte sie ihre Freunde an.
*
Drei Tage später, begleitet vom hysterischen Gebell von Roly und Poly, erschien ein Mann auf der Farm. Den Hut schräg ins Gesicht gedrückt, marschierte er vormittags die Auffahrt hinauf, und Jill erkannte ihn sofort. Es war der Zulu, den sie am Grab mit dem Büffeldornzweig gesehen hatte. Die Hosenbeine seines dunklen Anzuges, den er mit einem weißen Hemd, aber ohne Krawatte trug, waren mit rötlichem Staub bedeckt. Offensichtlich war er mit dem Bus gekommen und hatte den langen Weg durch die Farm zu Fuß gemacht. Er klopfte an die Vordertür.
Nelly kam Jill zuvor und öffnete. Als sie einen Stammesgenossen vor sich sah, schloss sie flugs die Tür zu einem Spalt, spähte hinaus, das Gesicht misstrauisch verzogen. Der Mann sagte etwas, Jill konnte ihn aber nicht verstehen. Nellys Reaktion jedoch erstaunte sie, denn die zuckte zusammen, zischelte in aufgeregtem Ton ein paar Worte, fuchtelte nervös mit der Hand, wollte ihn wegdrängen. Bedeutete Nelly ihm, dass die Tür für Dienstboten die zur Küche war? Sie wunderte sich, dass eine Zulu gegen einen Stammesgenossen die Gesetze der Weißen durchzusetzen trachtete.
Mit einem Kopfschlenker ließ der Mann seinen Hut bis auf die Brauen rutschen, verwegen wie ein Freibeuter grinste er darunter hervor. »Umame, es ist richtig so. Von jetzt an können wir alle durch die Vordertür kommen und jedem Weißen ins Auge sehen. Die Zeit ist vorbei, dass sie uns wie Tiere jagten. Lass mich rein, ich war ein Freund von Ingwe.«
»Ingwe«, flüsterte Nelly und öffnete die Tür weit, »der Beschützer der Gerechten …«
»Yebo«, nickte der Mann. Er hatte Jill entdeckt. Über Nellys Schulter lächelte er ihr zu. »Sakubona«, grüßte er, »geht es Ihnen gut?«
Jill trat vor. Ingwe, Leopard, hatte er gesagt. Wen bezeichnete er mit dem Namen des Tieres, das alle Afrikaner verehren, das alles Noble, Mutige und Ehrenhafte verkörpert? Neugierig nahm sie Nelly die Tür aus der Hand. »Es ist schon gut, Nelly, er will mich besuchen.« Mit einer Geste bat sie ihn herein, »Sakubona«, grüßte sie und reichte ihm die Hand.
Er ergriff sie im traditionellen Dreiergriff. Erst am Daumen, dann die Handfläche, dann wieder der Daumen. »Sakubona, usapila na«, erwiderte er, die vorgeschriebene Antwort gebend, »ich werde Thabiso genannt. Thomas war mein Bruder.« Tatsächlich gebrauchte er einen schwer zu übersetzenden Ausdruck, der bedeutete, dass sie beide eines Blutes waren.
Ihr Herz klopfte hart. »Bitte, treten Sie ein. Möchten Sie etwas trinken? Einen Saft oder einen Kaffee?« Als sie sah, dass er zögerte, ergänzte sie ihre Frage. »Bier vielleicht?« Freudig nickte er seine Zustimmung. Sie bat Nelly, Bier für ihn und einen Saft für sie zu servieren. Dann ging sie ihm voraus, führte ihn ins Esszimmer. Die Sessel im Wohnzimmer waren zu niedrig, er würde in ihnen versinken, eben über dem Boden sitzen und sich sicherlich unwohl fühlen. Verstohlen betrachtete sie ihn, als er sich am Tisch niederließ, seinen Hut auf die Knie legte. Seine Haut war glatt und glänzend, die schokoladenbraunen Augen waren klar. Sie hätte ihn für einen jüngeren Mann gehalten, wäre nicht der breite weiß-graue Streifen in seinen kurz geschorenen Haaren gewesen, der sich vom Haaransatz über seinem rechten Ohr in schwungvoller Linie bis zum Hinterkopf zog.
Er fing ihren Blick auf und lachte laut. Ein zähneblitzendes Lachen reinster Schadenfreude, das nicht zu dem Bild des unbeholfenen Zulu vom Lande passte, das er auf den ersten Blick abgab. Sie sah, dass er noch unter dreißig war. »Ein weißer Polizist wollte mich erschießen, aber ein Zuluschädel ist zu hart für eine weiße Kugel. Sie reiste von hier«, er zeigte an seine Schläfe, fuhr die Narbe entlang bis zum Hinterkopf, »nach dort und schlitzte nur die Haut auf.«
Blitzartig sah sie ihn, auf der Flucht, von Schatten zu Schatten huschend, plötzlich vom grellen Schweinwerferlicht erwischt, sah die weiße Hand mit dem Revolver und hörte den Schuss. »Warum hat er nicht ein zweites Mal geschossen?«, fragte sie atemlos.
Sein Blick verschleierte sich, aber dann zog ein langsames Lächeln über sein dunkles Gesicht. »Er war verhindert«, sagte er auf Zulu.
Ein paar Sekunden dachte sie darüber nach. Er hatte ein kurioses Verb benutzt, das auch bedeuten konnte, dass es dem
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