Ein leises boeses Fluestern
die Laterne vorsichtig auf den grasigen Boden hinunter. Clarissa rieb mit der Hand über das Glas und beobachtete, wie der Schmutz in trüben Wasserbächen ablief. Das nasse Haar lag ihr eng am Kopf, und der Regen wusch ihr den Staub vom Gesicht und von den Armen. Mit ihrem Rocksaum versuchte sie, den Kupferfuß der Laterne zu putzen.
»Glaubst du, mit einem Kupferreinigungsmittel kriegt man das ganze schwarze Zeug weg?«
Max betrachtete staunend die Laterne. »Vielleicht.«
Clarissa schlang die Arme um ihn. »O Max, ich wußte, sie würde da sein. Ich wußte, wir würden sie finden!« Sie drückte ihn und preßte ihr Gesicht gegen sein nasses Hemd. »Ist sie nicht schön? Da hat diese herrliche Laterne die ganze Zeit hier gelegen, und wir sind diejenigen, die sie gefunden haben!«
Max war seltsam angerührt von ihrer Jugend und Aufregung, ihrer Zuversicht, dem Glühen ihres nassen Gesichts, das wie ein inneres Leuchten war, den klaren, sanften Linien, mit denen sich ihr junger Körper unter dem nassen Kleid abzeichnete, der überwältigenden Unschuld in ihrem strahlenden Lächeln und ihren blauen Augen. Alles, was geschah, verschlug ihm den Atem.
Der Regen fiel sacht, aber gleichmäßig, und die Wassertropfen wurden jetzt wärmer.
»Wir wollen sie ins Haus bringen«, sagte Max. »Vorsicht, wenn wir sie über die Mauer heben.«
Sie trugen die Lampe den Abhang hinunter auf den Rasen vor dem Haus. Die Tropfen, die von den Blutbuchen fielen, sahen wie Rubine aus. Weiter ging es ums Haus herum und zum Hintereingang.
»Ich wußte, wir würden sie finden«, stellte Clarissa fest, als sie die untere Veranda erreichten. »Ich wußte, die Laterne war dort. Ist es nicht furchtbar nett von ihnen, daß sie uns gesagt haben, wo sie steckte?« Sie lachte und schüttelte sich das schwere, nasse Haar von den Schultern.
»Sind sie wirklich so furchtbar nett?« Max mußte an den Flieder denken.
»Dummer Max«, gab Clarissa zurück.
VI
In der ersten Juniwoche regnete es jeden Tag. Im Haus roch es von der Nässe klamm und muffig. Max reinigte und ölte den Rasenmäher und las in einem Buch, das ihm seine Mutter kurz vor ihrem Tod geschenkt hatte.
An einem verregneten Samstagnachmittag ging Clarissa durch die Wäschekammer und stellte sich in die offene Tür seines Schlafzimmers. »Was liest du da?« fragte sie.
Max lag auf seinem Bett. »Ferlinghetti.«
»Was ist das?«
»Gedichte.«
»Was für Gedichte?« Ihre blauen Augen funkelten ihn an.
»Das Buch heißt: ›The Coney Island of the Mind‹.«
»Du bist doch geistig minderbemittelt, Maxie. Ich wette, du sprichst es nicht einmal richtig aus. Ich wette, du kannst gar nicht richtig lesen.« Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
»Warum streitest du nie mit mir? Du widersprichst nicht einmal.« Sie nahm ihm das Buch aus der Hand und ließ die Seiten an ihrem Daumennagel vorbeirascheln. »Ich werde dich nie verstehen.«
»Wir müssen uns auf den Weg machen«, sagte Max und stand auf.
»Zur Kirche?«
»Du weißt doch, heute ist die Probe für die Firmung.«
Clarissa folgte ihm durch die Wäschekammer in die Diele. »Du brauchst nicht gleich den Beleidigten zu spielen«, bemerkte sie. »Ich weiß, daß du lesen kannst.«
Durch den Regen liefen sie zu seinem Kombiwagen. Sie fuhren zu der katholischen Kirche in Vanport, wo heute die der Firmung vorangehende Probe stattfand.
»Es hört auf zu regnen«, stellte Clarissa fest, als sie an dem die Kirche umgebenden Friedhof angekommen waren.
Max stellte die Scheibenwischer ab.
»Du hast gar keinen Grund, auf mich böse zu sein. Ich meine das nicht so, was ich sage. Nur manchmal hasse ich alle.«
»Ich bin nicht böse auf dich.«
»Warum willst du dann morgen nicht in die Kirche kommen? Ich mag nicht allein zur Firmung gehen. Alle anderen Mädchen haben irgendwen. Ich habe dich schon hundertmal darum gebeten.«
»Louise wird mit dir gehen.«
»Es spielt doch gar keine Rolle, zu welcher Kirche du gehörst«, bettelte Clarissa. »Zur Firmung kann jeder mitkommen. Bitte, komm.«
Max parkte den Wagen vor der kleinen, aus Feldsteinen errichteten Kirche. »Ich bin nicht gern in einer überfüllten Kirche. Ich werde euch am Sonntag beide herfahren.«
»Ich wünschte, meine Mutter wäre hier«, stieß Clarissa hervor. »Ich will nicht allein zur Firmung gehen.«
Max zog den Zündschlüssel ab. »Sieh mal, Clarissa«, redete er ihr beschwichtigend zu, »wir wissen, wie enttäuscht du bist, daß deine Eltern
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