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Ein leises boeses Fluestern

Ein leises boeses Fluestern

Titel: Ein leises boeses Fluestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodus Carroll
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hinauf. Er war unfähig, die Augen von ihr abzuwenden, und er hatte Angst davor, oben an der Treppe anzukommen und sie zu berühren.
    Dann stand er neben ihr und legte ihr sanft seine Hand auf den Mund. »Still«, flüsterte er. »Louise wird dich hören.«
    Ihr Schluchzen ließ nach. Erschöpft legte sie den Kopf an seine Brust und schloß die Augen.
    Seine Angst war verschwunden. »Komm, Clarissa«, sagte er und führte sie in ihr Schlafzimmer. Dort drin war es dunkel. Er zog die Jalousien hoch und ließ das Tageslicht herein. Mit dem Rücken zu ihr bemerkte er, was es war, das den Raum so verändert hatte. Max verschlug es die Sprache. Er atmete tief ein, und dann keuchte er. Es hing ein Geruch in der Luft, den er nur als obszön bezeichnen konnte.
    Sein Blick fiel auf die Schranktüren mit ihrer zarten Holzmalerei, und da war irgend etwas nicht richtig. Er durchquerte das Zimmer und sah sich die Gemälde an. Eine überwältigende Traurigkeit schnürte ihm die Kehle zu. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und sah noch einmal auf die Obszönitäten, die über die Malerei geschmiert waren, auf die widerwärtigen Positionen und Gesten, die die ursprünglich harmlosen Darstellungen von Männern und Frauen überzogen.
    »Warum?« fragte er Clarissa. »Warum hast du das getan?«
    »Ich war es nicht«, weinte sie. »Du mußt mir glauben.« Sie fuhr sich über das Gesicht und verwischte braune Farbe auf einer Wange.
    Sie saß auf dem Bett, die Knie an die Brust gezogen, und schaukelte langsam hin und her. Sie schaukelte in einem bestimmten Rhythmus, streichelte dabei ihre Arme mit den Händen und verschmierte braune Farbe auf ihren Ärmeln. Und in der stillen Hitze summte Clarissa eine Melodie.
    Max erschauerte. Es war eine Melodie, an die er sich zu erinnern schien, die er schon einmal gehört haben mußte. Es war die Melodie eines alten Walzers.

 
XX
     
     
    Wütend schrubbte Max die Schranktüren ab und entfernte dabei auch einiges von der ursprünglichen zarten Malerei. An mehreren Stellen kam er bis auf den Grund des Holzes.
    Ah diesem Nachmittag schickte Max ein Telegramm an Mr. und Mrs. Stackpole und bat sie, nach Hause zu kommen. Clarissa sei krank. Am frühen Abend des nächsten Tages rief Mrs. Stackpole in einem Überseegespräch an, und Clarissa war es, die den Hörer des Apparats in der Diele abnahm.
    Sie war außer sich vor Freude, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte, lachte und weinte gleichzeitig. Sie hörte zu, und dann putzte sie sich die Nase, und dann hörte sie wieder zu.
    Endlich legte sie den Hörer neben den Apparat, ging in die Küche und rief durch die Fliegendrahttür nach Max.
    Max, der gerade die Azaleen begoß, kam schnell ins Haus. Er hörte Clarissa ruhig erklären: »Ja, Mami, mir geht es gut. Ich bin nicht krank. Aber ich vermisse dich. Bitte, komm nach Hause.«
    Darauf reichte Clarissa Max den Hörer. »Sie möchte mit dir sprechen.«
    Max nahm den Hörer. Seine Gedanken setzten aus, Schweiß floß ihm aus den Achselhöhlen und den Rücken hinunter. Die Stimme der Frau flößte ihm Angst ein. Wie war es nur möglich, daß seine gute Absicht so mißverstanden worden war?
    Max hörte benommen, schweigend zu. Er legte den Hörer auf die Gabel.
    Louise erschien auf der Treppe. »Was ist denn los?«
    »Mami kommt nach Hause!« Clarissa schwang sich auf das Treppengeländer. »Mami und Daddy kommen nächste Woche nach Hause.«
    »War deine Mutter am Telefon?«
    »Ja. Max hat ihr ein Telegramm geschickt, und deshalb rief sie an, um zu sagen, daß sie nach Hause kommt.«
    Louise schoß Max einen Blick zu, der deutlich ihre Verachtung ausdrückte. Sie stand oben auf der Treppe und sah auf ihn herab. »Ich gehe heute abend zu meiner Schwester – mache ihr mal einen Besuch. Und ich nehme Clarissa mit.« Sie lächelte dem Mädchen zu. »Wir könnten zusammen ein paar schöne Tage in der Stadt verbringen.«
    »Ich will nicht mitgehen.« Clarissas Gesicht verdüsterte sich. »Es ist heiß in der Stadt.«
    »Meine Schwester hat eine sehr schöne Wohnung.«
    »Puh. Ich hasse Etagenwohnungen.« Sie legte Max einen Arm um die Taille. »Ich will hierbleiben.«
    »Es spielt gar keine Rolle, was du willst, Fräulein.« Louise stieg die Stufen hinunter. »Du wirst mitgehen, und damit basta.«
    »Du hast kein Recht, mich aus diesem Haus zu entfernen.«
    »Deine Eltern haben mir die Verantwortung übertragen.«
    Clarissa funkelte sie mit ihren blauen Augen an. »Sie haben dir und Max die

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