Ein leises boeses Fluestern
weit weg hörten sie die Karussellmusik.
»Ich werde dir meine Spieluhr zeigen, wenn wir nach Hause kommen«, bot Clarissa an. »Eine der Melodien hört sich wie die von einem alten Karussell an, ganz blechern.«
Das Riesenrad hielt. Ihre Gondel war unten angekommen. Sie stiegen aus.
»Können wir jetzt Karussell fahren?« fragte Clarissa.
Max kaufte mehrere Karten. Clarissa schwang sich auf ein weißes Holzpferd. Sie faßte die Metallstange mit einer Hand, als er ihr die Karten reichte. »Willst du nicht auch fahren?« Sie runzelte die Stirn.
»Brauch du die Karten auf.« Er wandte sich von ihr ab.
»Max.« Sie zog den Fuß aus dem Steigbügel. »Es tut mir leid. Es war nur so dahergeredet. Ich glaube ja gar nicht wirklich, daß du schwachsinnig bist.« Tränen traten ihr in die Augen. »Ich hasse mich selbst. Ich hasse die ganze Welt.«
»Vergiß es«, sagte er.
»Sie sind heute mit uns gekommen.«
Max starrte sie ungläubig an.
»Ich sollte es dir nicht sagen. Sie möchten nicht allein sein. Jetzt, wo wir ihre Freunde sind, können sie das Haus immer dann verlassen, wenn wir es tun.«
Max packte sie bei den Schultern und schüttelte sie einmal kräftig. »Jetzt ist es aber genug, Clarissa!« brüllte er. »Wohin soll das noch führen?«
Die Tränen strömten ihr über die erhitzten Wangen.
»Oh, Max, sei nicht böse! Ich liebe dich. Und sie lieben dich auch. Es ist doch nichts Schlimmes. Sie möchten nur mit uns zusammen sein.«
Das Karussell setzte sich in Bewegung. Max drehte sich um und rannte davon, und hinter ihm zogen die bemalten Holzpferde ihre Kreisbahn.
XXIII
Max rannte den Feldweg entlang, der durch grüne Wiesen zum Fluß führte. Hitzewellen stiegen von der Erde auf. Über ihm krächzten Krähen, die auf dem Weg zu einer weit entfernten Eiche waren. Seine Arme juckten von getrocknetem Schweiß. Er erreichte den Fluß, wo eine Gruppe von Weiden eine Anlegestelle und sechs Ruderboote beschattete. Ein Mann ruhte sich im Schatten aus, einen Strohhut über das Gesicht gezogen. Max ging am Ufer weiter, bis dahin, wo der Fluß in den größeren Strom mündete, und hier legte er sich unter den Bäumen hin.
Es war ein schönes Gefühl, das Gras im Gesicht zu spüren, im Schatten zu liegen und an gar nichts zu denken. Aber das stimmte nicht. Er konnte sein Gehirn nicht abschalten und an gar nichts denken. Wenigstens wollte er nicht mehr daran denken, was in diesem Sommer alles geschah und wie sehr er sich wünschte, davon loszukommen. Er mußte Ordnung in seinem Leben schaffen, er mußte wieder ein Ziel vor Augen haben. Es schien beinahe ein Menschenalter her zu sein, daß er sich entschlossen hatte, alte Geschichte zu studieren und Lehrer zu werden. Es war so, als ob ein anderer Mensch diese Wahl getroffen habe, als ob ein Fremder all die Jahre durchlebt hatte, die vor diesem Sommer lagen, und daß sein früheres Leben nichts zu tun hatte mit dem, was sich jetzt ereignete. Er konnte sich nicht mehr klar daran erinnern, daß er diesen Entschluß gefaßt hatte, bevor seine Mutter starb, bevor man ihn wegschickte.
Max vergrub sein Gesicht im Gras und fühlte die Erde auf seiner Stirn. Jesus Christus, würde dieser Sommer nie zu Ende gehen? Würde er eines Tages an diesen Sommer denken und darüber lachen können, daß ein halbwüchsiges Mädchen mit wilden Phantasien, die real zu sein schienen, sein Leben völlig durcheinandergebracht, ihn mit Schmerz und Entsetzen erfüllt hatte? Um Gottes willen, er hatte sie niemals wirklich gesehen. Es war Verrücktheit, zu glauben, daß sie existierten.
Max hielt den Atem an und lauschte, denn er meinte, einen Ton gehört zu haben, der sich seiner Kehle entrang, einen Ton, der ein Schluchzen sein konnte oder vielleicht auch nur ein schwerer Atemzug, weil es so heiß war.
»Max.«
Er setzte sich auf und sah das Mädchen an, das vor ihm stand.
»Hei.« Sally Tolliver lächelte. Ihre Finger spielten nervös mit den Knöpfen an ihrer Bluse. »Was tust du hier unten so ganz allein? Dir entgeht ja der ganze Spaß.«
Max kam taumelnd auf die Füße und wischte sich den Schmutz von der Stirn. Ein Blick flußaufwärts zeigte ihm, daß der Mann an der Anlegestelle und die sechs Ruderboote noch an Ort und Stelle waren. »Ich dachte, ich wollte mir ein Boot mieten und eine Weile auf dem Fluß rudern.«
»Das ist eine gute Idee«, meinte Sally. »Wir dachten uns schon, daß du das vorhast.«
»Wir?«
»Arnie und ich. Wir sahen dich den Weg zum Fluß
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