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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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sich. Das war die größte Tragödie.
    LEE Aber Sie mussten die Geiseln befreien.
    SCHMIDT Ja. 90 Leben waren wichtiger als ein Leben, so konnte man es rechtfertigen. Die Terroristen hatten alles vorbereitet, das Flugzeug mit den 90 Menschen an Bord in die Luft zu jagen.
    LEE Ich denke, die Welt wird mit solchem Wahnsinn leben müssen. Denken Sie an Al-Qaida und die vielen radikalen Gruppen, die sich über das Internet selbst radikalisieren.
    SCHMIDT Ja, in gewisser Weise ist das Internet zum Multiplikator des Terrorismus geworden. Dabei bilden meiner Meinung nach unabhängige Einzeltäter wie Breivik in Norwegen die gefährlichste Gruppe. Ein Einzelner tötet mehr als 70 Menschen.
    LEE Und das ohne Grund.
    SCHMIDT Ja, ohne jeden Grund! Angesichts von Herrn Breivik bin ich fast versucht, mir die Todesstrafe zurückzuwünschen – trotz meiner prinzipiellen Ablehnung der Todesstrafe.
    LEE Ich verstehe das.
    SCHMIDT Es macht keinen Unterschied, ob man ihn ins Gefängnis oder hinter die Gitter einer psychiatrischen Klinik steckt.
    LEE Terrorakte wie in Norwegen sind grundsätzlich nicht zu verhindern. Mit den modernen Waffen können Psychotiker solche Taten ausführen.
    MATTHIAS NASS Gibt es eine Lehre, eine persönliche Lehre, die Sie aus fünfzig und mehr Jahren im Staatsdienst gezogen haben? Allgemeiner gefragt: Welches sind die moralischen Maßstäbe, an die sich Politiker halten sollten?
    LEE Ich denke, wenn man das Vertrauen der Menschen gewinnen will, muss man auch in der Lage sein, etwas durchzusetzen. Wenn man nur Versprechungen macht oder den Leuten nur nach dem Mund redet, genügt das nicht; man muss deutlich machen, dass man meint, was man sagt, und dass man tut, was man ankündigt. Ob man damit am Ende Erfolg hat oder scheitert: Man muss es versuchen. Das war der Grund, weshalb mir Erfolg beschieden war, denn ich habe mehrfach, trotz des Widerstands, der mir entgegenschlug, ausgeführt, was ich versprochen hatte. Das schuf Vertrauen, und danach war alles einfacher. Wenn man ein gewöhnlicher Politiker ist, der Versprechungen macht, und alle vier, fünf Jahre ein neuer Politiker kommt, wie in Japan, wo jedes Jahr ein neuer Premierminister antritt, kann man kein Vertrauen aufbauen und das Land nicht führen.
    SCHMIDT Ich denke, man sollte gezielt alle Versprechungen vermeiden, von denen man nicht sicher weiß, dass man sie später erfüllen kann. Das ist mir einmal bei einem geringen Anlass passiert, und ich habe mich bitter dafür geschämt. Es war ein lächerliches Beispiel, es ging um die Rentenvorhersage im Jahre 1976. Wir hatten angekündigt, die Renten zu einem bestimmten Termin um soundsoviel Prozent anzuheben, und später mussten wir diesen Termin um ein halbes Jahr verschieben (lacht). Für das Leben der Nation war es unwichtig. Aber für mich war es eine große Niederlage …
    MATTHIAS NASS Was ist der Kern politischer Führung? Was braucht man, um ein politischer Führer zu sein? Und was macht einen zu einem Staatsmann?
    LEE Nun, es gibt verschiedene Abstufungen zwischen einem Politiker und einem Staatsmann. Ein Politiker will nur sich selbst bekannt machen und ein Amt erobern. Dann genießt er den Stolz, es auszufüllen. Ein Führer hat eine Mission. Er will an die Macht, um bestimmte Dinge zu tun. Ein Staatsmann ist jemand, der nicht nur nach Macht strebt, um bestimmte Dinge zu tun, sondern der auch in der Lage ist, die Macht an einen guten Nachfolger zu übergeben. Das ist mein Verständnis.

Lee Kuan Yew und Helmut Schmidt schreiten bei dessen erstem Besuch in Singapur 1978 die Ehrengarde ab.
    © Archiv der sozialen Demokratie/Fotoarchiv Jupp Darchinger

SCHMIDT Wer war außerhalb Singapurs der bedeutendste politische Führer unserer Zeit?
    LEE Deng Xiaoping.
    SCHMIDT Ich stimme Ihnen zu. Aber ich hätte Winston Churchill an erster Stelle genannt.
    LEE Churchill war zweifellos ein großer Redner, er hat das britische Volk mobilisiert, als es allein war und sich in einer schweren Lage befand. Er sagte die berühmten Worte: »Wir werden auf den Dünen kämpfen, wir werden auf den Landungsplätzen kämpfen, wir werden auf den Feldern und in den Straßen kämpfen; wir werden uns niemals ergeben .« Roosevelt fragte seinen Sekretär: »Warum sind meine Reden nicht so?« Darauf erwiderte der Sekretär: »Sir, er rollt seine Zigaretten selbst.« Dies gab dem Volk die Kraft zu kämpfen und verschaffte Churchill genügend Zeit, die Amerikaner in den Krieg hineinzuziehen. Und die Japaner halfen

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