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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Ashton
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Kannst du sprechen?»
    «Wie geht’s, Ma?»
    «Hervorragend. Sehr gut. Hör mal. Ich hatte einen merkwürdigen kleinen Plausch mit deinem Direktor, direkt vor dem Schlachter.»
    «Oh.»
    «Ja, Fräulein. Das ist wirklich
oh
. Da sagt er doch, Orla bleibt in London. Sage ich, nein nein nein, Orla würde so etwas niemals entscheiden, ohne mir davon zu erzählen.»
    «Ma, es tut mir leid.»
    «Ja, mir auch. Dass ich ein Kind großgezogen habe, das keine Manieren hat.»
    «Ma! Jetzt weine doch nicht! Bitte, Ma.»
    «Warum willst du bloß so weit weg von uns sein, allein unter Fremden?»
    «Das sagst du doch auch nicht zu Caitlin. Oder als Brendan mit dem Rucksack losgezogen ist.»
    «Die hatten auch keinen Verlust erlitten. Haben nicht getrauert. Halb verrückt vor …»
    «Ma! Ich komme zurecht!»
    «Du bist doch halb tot, Orla!»
    «Ich weiß! Ich weiß das, verdammt noch mal, aber das dürfen wir nicht sagen.»
    «Oh, Liebes. Ich hab dich zum Weinen gebracht.»
    «Ich hasse es zu weinen, Ma. Achtzehn Tage tränenfrei, und jetzt muss ich wieder bei null anfangen. Wie geht’s den anderen?»
    «Hervorragend. Deirdre verklagt den Mann, der ihr das Gewächshaus gebaut hat.»
    «Gut. Sie hat schon lange niemanden mehr verklagt.»
    «Und ihre kleine Roisin will einen Preis fürs Gedichteaufsagen bekommen.»
    «Sie hat mir das Video geschickt. Das war ja fast so lang wie ‹Titanic›.»
    «Lass das. Wir sollten uns nicht darüber lustig machen. Aber, herrje, man hört nicht oft, wie ein Kind eine Wikingersaga rezitiert. Du kommst doch an Weihnachten, oder?»
     
    Als sie von Orlas Jobangebot hörte, hatte Maude ihr zugeprostet und ihr dazu gratuliert, dass sie alle Schiffe hinter sich verbrannte. Das hatte Orla zunächst beunruhigt, die viel lieber eine stabile Brücke hinter sich wusste als brennende Schiffe. Sie untersuchte eine Ausgabe der
Erziehung der Gefühle
von Flaubert auf Mängel und dachte dabei, dass es dennoch eine gute Entscheidung war, weil ihr der neue Job im Grunde wirklich entsprach. Ihre durchweg erwachsenen Schüler würden viel motivierter sein als die aus der Summer School, weniger privilegiert, und sie würden sich unbedingt in die britische Gesellschaft einfügen wollen. Sie dazu zu befähigen würde sicher sehr befriedigend sein. Und doch, trotz allem wohnte da immer noch ein kleines Grüppchen Siebenjähriger in ihrer Erinnerung, mit all ihrer Gutgläubigkeit, ihrer Begeisterung, ihrer
Bedürftigkeit
. Sie saßen sozusagen in den Schiffen, die sie angezündet hatte.
    Die Türglocke bimmelte erneut, es war ein geradezu hektischer Samstag für Maudes Verhältnisse.
    «Jetzt auch noch du», schnauzte Bogna.
    Orla sah hoch, sie wollte sie gerade tadeln: Schon drei Mal hatte sie Bogna heute für ihre Umgangsformen zurechtweisen müssen.
    «Ich bin hier erst um fünf fertig, Marek», sagte Bogna finster zu ihrem Bruder. «Komm dann wieder und fahr mich nach Hause.»
    «Ich habe nicht die Absicht, dich nach Hause zu fahren», entgegnete Marek. «Ich wollte Orla auf einen Kaffee einladen. Hast du Lust?»
    Maude sah von ihren Rechnungen hoch, die Ohren gespitzt wie ein Dackel, der die Kühlschranktür quietschen gehört hat.
    «Jetzt?», fragte Orla verdutzt.
    «Ja.» Marek hielt die Tür auf. Er schaute ihr direkt in die Augen. Er erklärte nichts.
    «Okay.»
    «Verdammte Scheiße!», sagte Bogna laut, als sich die Tür hinter ihnen schloss.
     
    «Ich habe dieses Café noch nie bemerkt.» Orla setzte sich in die Ecke des schlichten Bistros zwei Straßen weiter. Neonröhren erhellten den Raum, und die Inhaberin trug eine Bienenkorbfrisur.
    «Es ist polnisch.»
    Marek saß ihr gegenüber und schob ihr eine laminierte Speisekarte über das karierte Plastiktischtuch hinüber.
    «Ah.» Orla lächelte. «Gut. Ich habe noch nie polnisches Essen probiert.»
Halt den Mund
, schimpfte sie mit sich selbst.
Du bist hier nicht der Pausenclown.
Der Spaziergang zum Café hatte gezeigt, dass Marek offenbar nichts von Small Talk hielt; ein Pluspunkt in Orlas Augen. Es gab ohnehin zu viel Small Talk in der Welt, er füllte jeden Winkel aus und ließ keinen Platz mehr für das Nachdenken. Sie überflog die Speisekarte und stolperte über all die Gs und Ss und Zs.
    «Magst du Gebäck? Kuchen?», fragte Marek.
    «Gern.»
    «Okay.» Marek stand auf. «Wie trinkst du deinen Kaffee?»
    «Mit Milch, danke.» Orla hatte es geschafft, den karamelligen Verheißungen der Kaffeeketten zu widerstehen, und trank immer noch

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