Ein letzter Brief von dir (German Edition)
altmodischen Filterkaffee.
Marek bestellte auf Polnisch am Tresen. Seine tiefe Bassstimme rumpelte wie ein Panzer über die harten Kanten seiner Muttersprache. Orla beobachtete ihn und bemerkte, dass er auf dem Weg hierher nicht einmal gelächelt hatte. Er war einfach drauflosmarschiert, und sie hatte Mühe gehabt, mit ihm Schritt zu halten. Sie wunderte sich, dass ihr das gar nichts ausmachte. Vermutlich lag es an der Art, wie er gefragt hatte, und an der beruhigenden Wirkung seiner tiefen Stimme mit dem leichten Akzent. Sim hätte sofort bestätigt, dass sie kein Ja-Sager-Mädchen war: Kelten sind von Natur aus eher misstrauisch, und auch sie neigte dazu, auf direkte Einladungen mit «Vielleicht», «Warum?» oder «Verpiss dich» zu reagieren. Und doch saß sie jetzt hier in einer Ecke und schaute zu, wie ein großgewachsener, schwarzhaariger Mann ihr ein am Rand angeschlagenes Tellerchen mit kleinen gezuckerten Halbmonden brachte.
«Das sind
rogaliki
», sagte er. «Probier mal.»
Orla tat, wie ihr geheißen wurde. «Köstlich», sagte sie und leckte den Zucker von ihren Lippen. «Die sind mir noch nie untergekommen.»
«In Polen gibt es sie überall.»
«Hmmm. Sehr gut. Lecker.»
Stopp. Hör auf, die Pausen zu füllen.
Sie kaute weiter.
Marek nippte an seinem Kaffee, der in Puppentässchen kam und so dickflüssig war wie Teer.
«Also», fing Orla an, als das Schweigen drückend wurde. «Kommst du oft hierher?»
Sie wusste, dass er den Hinweis verstehen würde.
«Eigentlich ja. Ich hatte meine erste Arbeitsstelle um die Ecke. Seitdem komme ich jeden Donnerstag zum Mittagessen hierher.»
«Was arbeitest du denn?»
«Ich bin ein wandelndes Klischee.» Er nickte bestätigend dazu, und eine glänzende Haarsträhne fiel ihm über die Augen. Orla bemerkte, dass seine Haare einen Schnitt nötig hatten. Es war gar keine richtige Frisur und fiel ihm immer wieder in die Stirn – charmant, obwohl er sich offensichtlich nicht darum kümmerte. «Ich bin ein polnischer Bauarbeiter.»
«Hmm. Von denen gibt es hier wirklich viele», lächelte Orla.
«Oder besser gesagt: Das war ich. Jetzt habe ich Männer, die für mich arbeiten. Männer von daheim. Ich bin jetzt Bauunternehmer.»
«Ist es nicht schwierig, damit sein Geld zu verdienen? Jetzt in der Krise?»
«Für mich nicht.»
Er gab nicht an, das wusste sie, sondern stellte einfach fest. Orla ließ den Schnitt seines schwarzen Samtjacketts und seine Armbanduhr auf sich wirken und begriff, dass Marek ein vermögender Mann war. Einer, der es selbst zu etwas gebracht hatte.
«Und mit was für einer Art Immobilien hast du es zu tun?»
Er lädt mich ein; ich stelle die Fragen.
«Ich arbeite mit einer Mischkalkulation. Einer Mischung aus Sozialbauten und Luxuswohnungen. Verstehst du?»
«So ungefähr. Du bekommst die Erlaubnis, teure Häuser zu bauen, wenn du dafür andere an Menschen verkaufst, die sich sonst keine Immobilien leisten könnten.»
«Ganz genau so», antwortete Marek erfreut. Nicht erfreut genug, als dass er gelächelt hätte, bemerkte sie. Sie fragte sich, was sie wohl tun müsste für ein Lächeln von ihm.
«Das muss befriedigend sein. Menschen ein Zuhause zu geben.»
«Ist es auch.»
Wieder entstand eine Pause, die sie mit süßen und tröstlichen
rogaliki
füllten.
Dann sagte Marek: «Also, wann gehst du wieder nach Hause? Nach Irland?»
«Oh, ich gehe nicht zurück. Ich bleibe hier.»
«Gut.» Marek nickte und sah sie direkt und ruhig aus seinen schwarzen Augen an. «Gut. Warum?»
«Ich habe eine Vollzeitstelle am College angenommen. Dort, wo ich auch Bogna unterrichtet habe.» Sie beließ es dabei. Die Stille lag wie ein Klotz zwischen ihnen auf der rotweiß karierten Tischdecke. Als sie sie nicht länger ertragen konnte, fuhr sie fort, wie eine Ertrinkende, die nach Luft schnappt, und plapperte: «Ich habe meinen alten Job zu Hause aufgegeben und mich dafür entschieden, London eine echte Chance zu geben. Ich tue jetzt nicht mehr so, als sei es eine Übergangs- oder Notlösung. Ich habe endlich akzeptiert, dass ich mich verändert habe.» Orla hielt inne, erschrocken darüber, was sie alles erzählte, nur um die Stille zu überbrücken. Noch nie zuvor hatte sie laut ausgesprochen, was für eine riesige Chance sie da ergriffen hatte. Marek sah sie aufmerksam an. Eine blecherne Melodie kam aus der Brusttasche seines Jacketts. Er zog sein Handy heraus und runzelte die Stirn. «Arbeit», sagte er.
«Geh ruhig ran.» Orla lehnte sich
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