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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dir wehtut , hat sie versucht, mir zu erklären, dann tut es auch mir weh.
    Ich war damals noch zu jung, um zu verstehen, was sie damit meinte. Und tatsächlich habe ich auch später nie jemanden genug geliebt, um genauso zu empfinden … bis zu diesem Augenblick. Zoe so zu sehen … Ich kann nicht mehr atmen und brenne innerlich.
    Also lasse ich sie in der Küche stehen und gehe ins Schlafzimmer. Vor dem Nachttisch gehe ich in die Knie und krame in dem Stapel ungelesener Fachmagazine und ausgeschnittener Rezepte herum, die ich immer mal habe kochen wollen. Schließlich finde ich eine Ausgabe des Options Newsletter , eines Magazins für Transsexuelle, Lesben, Schwule und Bisexuelle, und dort stehen hinten dann auch all die üblichen Kleinanzeigen.
    GLAD. Gay & Lesbian Advocates & Defenders, homosexuelle Anwälte, Winter Street, Boston.
    Ich schnappe mir das Magazin und gehe damit in die Küche zurück, wo Zoe inzwischen am Tisch zusammengesunken ist. Ich hebe das Telefon auf, das unter der Fensterbank gelandet ist, und wähle die Nummer aus der Anzeige.
    »Hi«, sage ich in brüskem Ton. »Mein Name ist Vanessa Shaw. Meine Frau ist gerade von ihrem Ex verklagt worden. Er versucht, die alleinige Kontrolle über eingefrorene Embryonen zu erhalten, mit denen wir gehofft hatten, eine Familie gründen zu können, und er bauscht das Ganze zu einem evangelikalen, rechten, antihomosexuellen Präzedenzfall auf. Können Sie uns helfen?« Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus, Zoe hebt den Kopf und starrt mich mit großen Augen an. »Gut«, sage ich zu der Sekretärin. »Ich bleibe dran.«
    Muzak-Musik füllt meine Ohren. Zoe war diejenige, die mir einmal erzählt hat, dass die Produktionsfirma, die diese furchtbare Fahrstuhlmusik erfunden hat, im Jahre 2009 pleitegegangen ist. Sie hat das musikalisches Karma genannt.
    Zoe tritt zu mir, nimmt mir das Magazin aus der Hand und schaut auf die Anzeige.
    »Wenn Max Krieg will«, sage ich zu ihr, »dann soll er ihn bekommen.«
    Als ich vierundzwanzig Jahre alt war, habe ich mir einen Tag nach Weihnachten beim Eishockey auf einem Teich den Knöchel gebrochen. Er ist glatt durchgebrochen, und ein Chirurg hat eine Metallplatte an meinem Knochen befestigt. Meine Mannschaftskameraden haben mich in die Notaufnahme gefahren, und meine Mutter musste zu mir in meine Wohnung ziehen, denn ich konnte so gut wie nichts mehr alleine machen. Ich konnte zwar auf Krücken durch die Wohnung humpeln, aber nicht vom Klo aufstehen. Ich kam nicht mehr aus der Badewanne, und ich konnte nirgendwo hingehen, denn meine Krücken rutschten auf dem Eis draußen weg.
    Wäre meine Mutter nicht gewesen, ich hätte mich vermutlich nur von Salzstangen und Leitungswasser ernährt und miese Seifenopern geschaut.
    Stattdessen hat meine Mutter mir stoisch ins Badezimmer geholfen und wieder hinaus. Sie hat mir das Haar in der Wanne gewaschen, mich zu meinen Arztterminen gefahren, meinen Kühlschrank gefüllt und mein Haus geputzt.
    Und als Gegenleistung habe ich nur gejammert und sie angezickt, weil ich wütend auf mich selbst gewesen bin. Schließlich traf ich einen Nerv. Meine Mutter warf den Teller mit Essen, das sie mir gemacht hatte, auf den Boden – ein gegrilltes Käsesandwich, ich erinnere mich noch gut, weil ich mich beschwert hatte, dass sie amerikanischen und keinen Schweizer Käse dafür genommen hatte – und ging zur Tür hinaus.
    Auch gut , sagte ich mir selbst. Ich brauche sie nicht.
    Und so war es auch – jedenfalls die ersten drei Stunden –, dann musste ich dringend pinkeln.
    Zuerst humpelte ich auf meinen Krücken ins Badezimmer; aber ich konnte mich nicht aufs Klo setzen, weil ich Angst hatte zu fallen. Schließlich balancierte ich auf einem Fuß und urinierte in einen leeren Kaffeebecher. Dann brach ich auf dem Bett zusammen und rief meine Mutter an.
    Es tut mir leid , schluchzte ich. Ich bin so hilflos.
    Und genau da irrst du dich , erwiderte sie. Du bist nicht hilflos. Du brauchst nur Hilfe. Das ist ein großer Unterschied .
    Auf Angela Morettis Schreibtisch steht ein verschlossener Glaskrug, und darin schwimmt etwas, das wie eine Trockenpflaume aussieht.
    »Oh«, sagt sie, als sie bemerkt, dass ich mir den Krug anschaue. »Das stammt von meinem letzten Fall.«
    Zoe und ich haben uns einen Tag freigenommen, um uns mit Angela in ihrem Büro in Boston zu treffen. Sie sieht aus wie eine Tinker Bell auf Speed: Sie ist winzig und plappert ohne Unterlass. Ihre schwarzen Locken wippen, als

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