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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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dir nur zugehört, weil du Herrn Pfarrer Andings Tochter bist. Misch dich nicht in meine Angelegenheiten. Wie dein Vater erzieht, geht mich ja nichts an, wie soll auch ohne Mutter etwas aus dir werden! Aber ich erziehe meine Kinder nach Gottes Willen.«
    Luise sah ihn voller Wut und Verachtung an. »Sie sind durch und durch böse. An Ihnen ist alles klein«, zischte sie. »Ich erzähle das meinem Vater, und ich hoffe nur, dass Sie entlassen werden. Sie sind der Gottlose, nicht die anderen. Sie sind der Teufel, nicht die anderen.«
    Dem Mesner war die Röte in die welken Wangen gestiegen, er machte eine hastige Bewegung auf sie zu und hob die Hand, aber Luise packte seinen Arm und hielt ihn mit all der Kraft, die sie aufbringen konnte.
    »Mich«, flüsterte sie so voller Wut, dass sie dabei spuckte, »mich schlagen Sie nicht!«
    Dann ließ sie ihn los und stürmte aus der Kirche, zitternd, rasend vor ohnmächtigem Zorn und so aufgewühlt wie fast noch nie in ihrem Leben.
    Schwein, dachte sie immer wieder, während sie zum Haus hinüberging, was für ein Schwein. Jetzt hätte sie gerne mit Papa geredet oder mit Paul, aber niemand war zu Hause. Ihr Vater war auf einer Kirchenvorstandssitzung, Paul und Luana waren ausgegangen; sie wusste nicht, wohin. Luise ging hinauf auf ihr Zimmer und öffnete das Fenster so heftig, dass die Flügelgriffe in den Putz schlugen. Wild atmend stand sie am Fenster und merkte, wie ihr die Tränen kamen, aber nicht vor Trauer, sondern vor Wut, dass die Welt so ungerecht sein konnte, dass es Menschen gab, die über einen anderen bestimmten, als sei er nichts wert. Sie hatte die Hände zu zitternden Fäusten geballt und spürte die Nägel in der Handfläche, aber es hätte noch stärker schmerzen dürfen, es war eigentlich nicht genug. Sie stand im Fenster, die Tränen tropften aufs Brett, und sie hasste sich für ihre Schwäche, dafür, dass sie den Mesner nicht besiegen konnte, obwohl alles, alles falsch war, was er dachte und tat. Sie hasste sich und die Welt dafür, dass das Falsche stärker sein durfte als das Richtige. Draußen dagegen war es ein friedlicher Sommerabend, still und nach Rosen duftend, und die Mauersegler durchschnitten die Luft wie mit Sicheln, während Luise sich schließlich zwang, mit dem Weinen aufzuhören und nur noch mit brennenden Augen in den Himmel starrte, lange Zeit, bis es endlich dunkel war und sie zu Bett ging, ohne Schlaf zu finden.

13

    In den folgenden Tagen blieb Evas Platz im Klassenzimmer leer. Sie erschien weder zu den Prüfungen noch zu den letzten Unterrichtsstunden, die dazwischen noch gegeben wurden. Luises flammender Zorn auf den Mesner wurde zu einem kalten Hass, der sie in seiner Kraft selbst überraschte. Sie hatte ihrem Vater am nächsten Tag von der Begegnung in der Kirche erzählt, sie hatte ihm geschildert, wie Eva ausgesehen hatte und dass der Mesner sie nicht mehr in die Schule lassen wollte. Ihr Vater war an diesem Tag tatsächlich noch einmal gegangen, um mit Schwarz zu reden; ihn zu überzeugen, seine Tochter wenigstens bei den Prüfungen antreten zu lassen, aber er war mit geröteten Wangen und fast ebenso zornig wie Luise zurückgekehrt, ohne irgendetwas ausgerichtet zu haben.
    »Der Mann ist wie aus Stein«, hatte er in bitterer Fassungslosigkeit gesagt. »Wie kann er nur so etwas glauben? Wie kann er glauben, dass es Gott gefällt, was er da tut? Allmählich verstehe ich, aus welchem Geist die Inquisitoren gekommen sind.«
    Luise hätte nur zu gerne gesehen, dass der Mesner entlassen wurde, aber es lag sowieso nicht in der Hand ihres Vaters. Der Kirchenvorstand beriet über Ein- und Ausstellungen, und der Mesner war seit fünfundzwanzig Jahren im Amt. Ihr Vater dagegen war erst seit fünfzehn Jahren in der Stadt.
    »Und selbst, wenn Papa ihn entlassen könnte«, hatte Paul düster angefügt, dem Luise die Geschichte auch erzählt hatte, »selbst dann: Er ist so verbohrt, dass er sich dann als Märtyrer fühlen würde. Sieh dich doch um! Wir leben längst wieder im Mittelalter.«
    Er hatte das Tagblatt hochgenommen und auf eine Notiz gedeutet. In Straßenkämpfen in Berlin hatten SA-Leute zwei Kommunisten totgeschlagen. Luise hatte an Greben denken müssen, den heiteren, offenen Flieger.
    »Nicht alle sind so«, hatte sie fast trotzig geantwortet.
    Ihr Vater hatte genickt. Aber Paul, der weder den fröhlichen Glauben seines Vaters noch Luises Optimismus teilte, hatte einfach gesagt: »Doch. Alle sind so. Kommunisten und Nazis.

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