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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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der alten Häuser entgegen, diese Mischung aus faulendem Holz und Schmierseife, aus zu viel Mottenpulver und scharfem Essig, mit dem jeden Tag geschrubbt wurde, damit alles sauber sei. Sie musste an Eva denken, die in ihrem Zimmer eingeschlossen war, wo sich die erstickende Hitze und die saure Luft stauten. In der lastenden Wärme der Sommernacht hatte Luise auf einmal das Gefühl, zwischen den Häusern nur schwer atmen zu können.
    Ja, dachte sie bitter, es ist Zeit wegzugehen. Hier binden sie dich an, wenn du fliegen willst.
    Als sie später in ihrem Bett lag, war sie froh, dass das Pfarrhaus so frei stand. Die Luft war leichter. Trotzdem konnte sie lange nicht einschlafen, und als es dann doch geschah – es begann schon zu dämmern –, träumte sie unruhig und schwer.

17

    Die Glocken läuteten. Luise hatte nicht die geringste Lust, heute in die Kirche zu gehen. Obwohl der Himmel fast blau war, lag eine unbewegte Schwüle über der Stadt, die sich durch kein Gewitter lösen würde, und sie fühlte sich zerschlagen. Aber es ließ sich nicht vermeiden – sie war ja nicht krank. Das Frühstück war hastig und schweigsam verlaufen wie stets am Sonntag. Ihr Vater war an den Sonntagen immer schweigsam, weil er geistig schon mit der Predigt befasst war, aber heute war er fast mürrisch gewesen, als er wortlos aufstand und zur Kirche hinüberging. Immer war er schon eine Viertelstunde eher dort, als er unbedingt musste, aber so war er eben. Luise kannte es nicht anders. Paul hatte schon vor langer Zeit aufgehört, regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen, am Sonntag schlief er lang. Und dann war auch Luana beim Frühstück nicht dabei gewesen; sie ging ja nüchtern zur Messe in die katholische Kirche. Die Sonntagmorgen waren schon im besten Fall nicht heiter-gelassen, aber heute war es besonders trist.
    Luise verließ das Haus, nachdem sie noch rasch den Tisch abgedeckt und das Geschirr in den Spülstein gestellt hatte. Auf dem Weg zur Kirche musste sie wieder an gestern Nacht denken und an das zerstörte Flugzeug. Es fraß an ihr. Sie merkte jetzt erst richtig, wie sehr sie das schmerzte, weit über den bloßen Verlust des Flugzeugs hinaus. Ich habe am Boden Bruch gemacht, dachte sie in selbstverletzendem Hohn und begann sich zu fragen, was sie eigentlich falsch gemacht hatte.
    Vor der Kirche stand Elisabeth und sah aus, als hätte sie auf Luise gewartet. Luise war überrascht, wie froh sie war, jemanden zu sehen, der wenigstens nicht ganz so bieder und klein dachte wie anscheinend alle anderen hier.
    »Nanu«, begrüßte sie ihre Kameradin Elisabeth spöttisch, »du bist ja noch hier. Ich hatte dich schon in Berlin vermutet. Champagnerfrühstück statt Sonntagsgottesdienst.«
    Sie spielte auf ihren Wunsch an, Schauspielerin zu werden. Das war zwar ein heimlicher Wunsch fast aller Mädchen in Luises Klasse, aber Elisabeth war die Einzige, der man das halbwegs zutrauen konnte. Nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern auch wegen ihrer selbstbewussten Art. Sie besaß eine ironische, gelassene Überlegenheit, die es gar nicht nötig hatte, den anderen immer wieder zu versichern, dass sie auch wirklich nach Berlin gehen, dass sie dort wirklich Schauspielerin werden würde. Ihre eigene Überzeugung strahlte auf die anderen aus, und es schien für alle beschlossene Sache.
    »Ich gehe erst Ende August«, antwortete sie jetzt, »da muss ich mir vorher doch noch einen Vorrat an Kleinbürgerlichkeit anlegen.«
    Sie wies mit einer kleinen, abfälligen Kopfbewegung auf die Gemeinde, die sich in die Kirche schob. Viel leicht schwitzende, rotgesichtige Wohlbeleibtheit sah man da, in schwarzes Wolltuch gekleidet, trotz der Sommerhitze.
    »Eva ist wieder nicht da«, stellte Luise leicht fragend fest, nachdem sie sich umgesehen hatte.
    Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nicht mal zum Gottesdienst lässt er sie«, sagte sie laut und voller Verachtung. Sie hätte es wohl in Gegenwart des Mesners ebenso laut gesagt, aber der war ja in der Kirche und läutete die Glocken.
    Luise berührte Elisabeth am Arm. »Komm«, sagte sie.
    Sie betraten die Kirche zusammen mit dem Apotheker und seiner kleinen dicken Frau, die an Sonn- und Feiertagen immer dasselbe schwarze Hütchen mit Halbschleier trug, worüber sich die Jugend der Stadt seit Jahren lustig machte, denn die Apothekerin hatte wirklich kein »jungfräulich frisches Antlitz« mehr, wie sich Paul einmal trocken und treffend ausgedrückt hatte.
    Wie immer setzten sich Luise und Elisabeth

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