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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Platz im Gang vorbeikam, an dem der General immer gelegen hatte, vermisste sie einmal mehr sein Gebell, seine beruhigende Anwesenheit, seinen schweren Körper an ihren Beinen, wenn sie die Tür öffnete.
    »Hallo«, sagte Georg zur Begrüßung.
    Luise blinzelte. Im Gang war es immer dunkel, und draußen war es sommerhell, mittagshell.
    »Hallo«, antwortete Luise, »komm rein.«
    Georg zögerte. »Ich wollte wissen, ob ich etwas tun kann«, begann er verlegen, »und ob du vielleicht … ob du mit mir einen kleinen Ausflug machen würdest. Mit dem Fahrrad.«
    Luise schüttelte den Kopf. »Ich habe … mir ist nicht nach Ausflügen, Georg«, sagte sie dann brüsk.
    »Ich weiß«, sagte Georg noch immer etwas verlegen, aber fest, »gerade deshalb. Gerade deshalb solltest du raus.«
    Er stand wartend da. Sie hätte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen müssen, wenn sie ablehnte.
    »Der Abwasch ist noch nicht fertig«, sagte sie.
    »Doch«, sagte Luana, die hinter ihr in den Gang getreten war und sich eben die Schürze abband, »geh, Luise. Dann kannst du … wie sagt man … pensar …«
    »Dich beruhigen, vermutlich«, half Georg aus.
    Luana lachte amüsiert. »Denken«, sagte sie, »nachdenken.«
    »Also gut«, gab Luise nach, »ich komme. Vielleicht ist es wirklich besser, rauszugehen. Warte auf mich.«
    Sie schloss die Tür, band nun auch die Schürze ab, faltete sie zusammen und legte sie auf die Kommode im Gang. Eine Jacke brauchte sie nicht, es war so warm draußen. Sie zog nur rasch ihre festen Schuhe statt der Sandalen zum Radfahren an. Es sah ein wenig unpassend zu ihrem Kleid aus, aber sie ging ja nicht auf einen Ball. Dann lief sie über die Terrasse zur Remise und holte ihr Fahrrad.
    Georg saß schon im Sattel, als sie durch das Gartentor kam.
    »Auf«, sagte er kurz, und sie stieg auf und fuhr ihm hinterher.

    Sie verließen die Stadt durch das Obere Tor in westlicher Richtung, kamen auf die wenig befahrene Landstraße, die durch das Tal führte. An den Apfelbäumen entlang der Strecke hingen wie Trauben die kleinen grünen Früchte. Auf den Feldern stäubte der Weizen, wenn der Wind hindurchging. In fast durchsichtigen Schleiern wehte es die Hügel hinauf zum Wald. Es tat gut, sich zu bewegen. Georg ließ sich ein wenig zurückfallen, bis sie nebeneinander fuhren.
    »Hast du von deinem Vater gehört?«
    Luise schüttelte den Kopf. Sie hatten noch immer keine Nachricht. Es hieß, dass den Gefangenen erst nach vier Wochen erlaubt wurde, einen Brief zu verfassen. Der Anwalt hatte an die Kommandantur und an die Staatsanwaltschaft geschrieben, an die zuständige Gestapostelle und an den Landesbischof, aber von den einen kamen Briefe in schlechtem Deutsch, die von Staatsschutz sprachen und Sicherheit und von gegebener Zeit, die anderen wussten selber nichts.
    Es ging jetzt leicht bergab. Vor ihnen, am Ende des Tals, lag die Jurahöhe. Von hier aus konnte man die steile Landstraße schon erkennen. Ein winziges Lastauto kroch in Windungen aus Niederhochstatt den Berg hinan.
    »Sie werden ihn wieder freilassen«, sagte Georg nach einer Weile. »Die meisten lassen sie nach ein paar Wochen wieder raus.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte Luise zurückhaltend.
    »Sie wollen sie ja gar nicht auf Dauer einsperren. Sie wollen ihnen Angst machen. Sie wollen sie auf Linie bringen!«, erklärte Georg ruhig, aber man merkte ihm an, dass es ihn bewegte. »Anders als uns Sozis oder die Kommunisten«, sagte er dann noch bitter.
    »Wieso?«
    »Die Pfarrer sind in eigenen Baracken. Die kriegen Extrarationen. Die Kommunisten werden erschossen.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Luise fast wütend. »Woher willst du das wissen?«
    Georg sagte zunächst nichts. Die Sonne stand noch mittagshoch, der leichte westliche Wind kam ihnen entgegen, aber es fuhr sich leicht.
    »Die Genossen, die dort waren, erzählen davon«, sagte er schließlich so leise, dass Luise ihr Fahrrad enger neben seines lenken musste, um ihn zu verstehen.
    »Sie müssen ein Papier unterschreiben, dass sie absolutes Stillschweigen wahren, aber das tun nicht alle. Es gibt da kein Gesetz, Luise. Ich sag das nicht nur so. Es gibt wirklich keins. Kein Anwalt, kein Staatsanwalt, kein Richter darf nach Dachau. Der Kommandant darf Todesurteile verhängen. Ohne Prozess. Ohne Richter. Es reicht, wenn zwei Wachen zustimmen, und das tun die immer. Immer.«
    Es war so eigenartig, Georg das erzählen zu hören und dabei durch dieses schöne Land zu fahren. Durch den

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